Der Aufgang Des Abendlandes
niedrig im Preise standen und die Gesellschaft möglichst die Freiheit psychischen Auslebens unterdrückt, folgert
notwendig aus der Knechtschaft des Materielebens, dem sich der Sinnenmensch verschrieb. Das soll so sein, damit das Heroische
offenbar werde, liefert daher nicht mal das Recht, die Materie als antiethisch der Weltordnung vorzuwerfen. Denn ohne ihre
von Buddha so sattsam aufgezählten Begierdenleiden würde das sich heroisch entgegenstemmende Psychische nicht zu
seinem Rechte der Selbsterziehung kommen. Gewaltsame Abdämmung geistiger Tattriebe, die ja schon auf höherer
Sphäre arbeiten als der flachen materiellen, kann nicht des Lebens Endzweck sein, wie Buddha empfiehlt.
Wenn Schulzes »Thamas« oder »Rayas« schwadroniert: »Lasset uns trinken und essen und
fröhlich sein, denn morgen sind wir tot!«, so wird das nicht verbessert durch christliches: »Lasset uns
fasten und darben und traurig sein!« unter Verheißung eines sichtbar gedachten unmöglichen Himmels. Wenn
Buddha Heiterkeit des Gleichmuts bei Abschwörung der Materie lehrt, so ist das zwar heroisch, doch den unheroischen
Massen wird damit nicht gedient, daher die ihnen einleuchtende Ergänzung durch Wiedergeburt. Ohne Kampfstellung gegen
Materialismus oder Staatkirche, Formen des Gleichen, konnte auch Buddhismus sich nicht durchsetzen. Kaiser Asoka, Buddha der
Tat, der »alle Menschen als seine Kinder betrachtete«, erkannte höchstes Glück in »Arbeit
für Gemeinwohl«, die nie »Übersättigung« spüre wie der Sinnenrausch, er war kein ums
eigene Seelenwohl bemühter Bettelmönch. Heroischer ist, handelnd und leidend im Naturleben zu verharren und den
Stößen der Materiereibung, wo Schlechtigkeit und Dummheit der Menschen selber ihr eigenes Heil verwunden, mit
fester Geduld zu begegnen, sich inmitten zeitlich fruchtloser Mühen mit der Gewißheit zu erleuchten, daß
trotzdem psychische Gerechtigkeit wirkt und dem Arbeiter-im-Geist sein innerer Lohn wird. Wohl verlangte Buddha selber von
seinen Aposteln wanderndes Wirken, nicht träge Selbstbeschaulichkeit, doch seine Lehre zog unabweislich nach sich,
daß später träges selbstgerechtes Mönchtum als Vorbild des christlichen sich ausbreitete. Und selbst in
reinster Ursprungsform läuft hier alles auf verkappten Eudämonismus hinaus. Das Materielle wird nicht als
»Sünde«, sondern als »Übel« empfunden, das Ethische nicht empfohlen um seiner selbst
willen, sondern als »Wissen« zum Glücklichsein. Damit wird Heiligung zu einfacher Glücklehre, die sich
nur in den Mitteln von Epikur unterscheidet und wissenschaftlich verfährt, indem sie sich auf neue psychologische
Entdeckung stützt, die den Ablauf der Lebensprozesse physikalisch als »Rad« veranschaulichen. Das ist
wenigstens wissenschaftlicher als Kunststücke moderner Psychologen, in Schulzes Ichtrieb einen durch Vererbung
anerzogenen Gemeinsinn hineinzulügen und daraus die Moral zu begründen, was doch höchstens konventionell
ergibt: Ich fürchte den Kriminalkodex und sonst nichts in der Welt. Wir verweisen nochmals auf Ursprung der Religion,
warum zuerst der Begriff Gott, dann Unsterblichkeit und erst zuletzt Ethik als das Gott Wohlgefälltige und der
Unsterblichkeit Würdige entstand. Sonst fragt der Naturmensch, warum er seines Bruders Hüter sei und nicht Abel
totschlagen solle. Anarchismus ist die einzige redliche Logik des Materialismus, der daher stets als Todesbazillus
gesellschaftlicher Zellenauflösung wirkt. Wer von Evolutionsmoral schwärmt, hat nie denken gelernt. Indem Buddha
jeder historischen Ergründung zu entraten scheint, gibt man ihm irrig den Vorzug größerer ethischer Reinheit,
weil er auf egoistische Jenseitshoffnung verzichte. Das fällt ihm gar nicht ein, wie wir sahen. Man mißverstand
ihn als atheistisch, weil er keine vermenschlichte Gottheit in den Kreis des Endlichen herabzieht, und als
Unsterblichkeitsleugner, wo er doch nur dem Ich Fortdauer versagt und Nirwana höchste Unsterblichkeitserfüllung
bedeutet. Doch absichtlich schob er Transzendentales in den Hintergrund und wandte sich erst recht an den Egoismus, um ihm
mit Vernunftbeweisen beizukommen. Denn ist lieben schlechtweg das Übel und sein Absterben die Leidaufhebung, dann
weiß man ja, wie man glücklich wird! Widersprach die praktische Probe? In den Hymnen buddhistischer Bruderschaften
haucht nicht stille Meeresruhe der Entsagung, wie der europäische Willensfuchteler voraussetzt, sondern
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