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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Körperschmerz zu entziehen.
Daher hat man ehrlich nur Wahl zwischen zwei Dingen. Entweder war Jesus ein Sterblicher mit allzumenschlicher Schwäche
und wer weiß, ob im versiegelten Bericht des Zöllners Matthäus nicht so »Zerstörendes«
stand! – oder ist es gewolltes Martyrium und dann die neue Lesart die allein würdige. Auch die natürliche, da
das Bewußtsein im Übermaß des Schmerzes Exaltation empfindet, wie die Pucelle aus den Flammen rief:
»Meine Stimmen waren von Gott, sie haben mich nicht betrogen«, und es paßt besser zum folgenden
Todesseufzer »in deine Hände empfehle ich meinen Geist«, wahrscheinlich eine adeptische Formel.
Fortwährend müssen wir lächeln: Über Schopenhauer, der vornehm Jesum als späten Outsider abtut,
über die Kirche, die einem nach ungezählten Äonen plötzlich auf die Erde verschneiten Gott den
schäbigsten Stammbaum anheftet – für die Antike muß die Vorstellung eines ausgerechnet als Jude
herabgestiegenen Gottes zwerchfellerschütternd gewesen sein, es sei denn, daß dies die tiefste Erniedrigung
bedeuten sollte – und über die Hartnäckigkeit, womit Theologen die augenfälligsten Widersprüche als
Bollwerk behaupten möchten.
    Eine Exegese über »inwendiges« Gottesreich »nicht von dieser Welt« hat keinen Zweck, uns
scheint das Bedeutungsvollste, daß Jesus sich an Sünder und Zöllner wendet, Magdalenen aus dem Staub erhebt,
Schächern am Kreuz das Paradies verheißt. Das schlichte »Führe uns nicht in Versuchung« hat
tiefen Erfahrungswert. Er lockt nicht wie Buddha den Egoismus, das Gute zu tun, weil es Glück bringe, er verspricht
weder Leidaufhebung, noch vertröstet er aufs Jenseits als Schadloshaltung, noch betont er »Gottes Gebote«,
verabscheut vielmehr jedes starre Moralgesetz, folgert nur, daß wir rein werden müssen, weil wir vom ewig Reinen
abstammen. Er zerbricht Gesetztafeln, vertreibt den donnernden Javeh vom Sinai, hoch über brennendem Horebstrauch
fährt er in feurigem Wagen gen Himmel, wo er den unaussprechlichen Gott der Notwendigkeit schaut. Seine Gottliebe kennt
kein verliebtes Wonnebrunzeln einer Nonne zum himmlichen Bräutigam, nie verläßt ihn Ehrfurcht vor schaurigem
Ernst des heiligen Kampfes: »Ich bin gekommen, das Schwert zu bringen.« Er gründet eine heroische
Weltanschauung, die nicht künstlich die Lebenswurzel beschneidet, nichts verneint als Pharisäertum, und Leben
bejaht als bloße Phase ewigen Lebens. Zufriedenheit scheint nicht wünschenswert, wohl aber Leid der Prüfung.
Christlich genug rümpft Antichrist Nietzsche die Nase: »Glück, was ist das? Ich bin gekommen, mein Werk zu
tun.« Nun, die da Werke taten und tun, brauchten und brauchen nicht Christen zu sein, angewidert vom Verwesungsgeruch
der immerfort von gleichen Pharisäern gekreuzigten Befreiungslehre. »Nichts stinkt so wie eine verfaulte
Lilie« (Shakespeare), doch der wahre Jesus verträgt sich prächtig mit leidenschaftlichem Ausleben des
Genialen, dessen Sichtbarkeit dem Schulze eindringlicher das Ideale veranschaulicht als Buddhas Methoden. Auch für
geniale Psyche gilt das Erlöserwort: »Viel vergeben, weil viel geliebt.«
    Das Genie ist nicht »Blüte« (Goethe), sondern Wipfel des Baumes, eins mit dessen Saft und Rinde. Goethe
der Heide, während Faustens unsterblich Teil als »edles Glied der Geisterwelt« eine christliche Apotheose
sucht, war unbewußt ein Jesugläubiger. Auch Jesus hält wie Buddha die Ethik für naturgesetzlich, doch er
weicht dem Bösen nicht aus, sondern steigert mit Entrüstungspessimismus, der die Wucherer geißelt, den Willen
zum Sieg der Psyche.
    Wohl vermochte Asoka sein Pataliputra, das er als ärmliches Nest vorfand, zum Marmorwunder Palimbotra zu machen, doch
es waren Indusgriechen alexandrinischer Diaspora, die er zur Neuschaffung heranzog, denn an und für sich ist Buddhismus
so kunstfremd wie Islam, er handelte schwerlich in Buddhas Sinne. Auch nicht in aufopfernder Staatstätigkeit. »Der
Berg ist überstiegen« atmete sterbend Friedrich der Große auf und winkte der Sonne, »bald werde ich
dir näher sein«. Das ist Jesu Nachfolge, und des sog. Atheisten Shelley »Pantheismus der Liebe« hat
unbewußt mehr von Jesusbegeisterung als von Buddhas unwandelbarer Ruhe. Wenn Byron singt: »Mein Dom sind Meer,
Gebirge und Firmament, alles, was von dem Allsein ausgegangen, das Seelen schuf, sie wieder zu empfangen« »sind
Berge, Wolken, Winde, nicht ein Teil von mir wie ich

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