Der Aufgang Des Abendlandes
stürmische
Begeisterung: »Glücklich erwach' ich, glücklich schlaf ich ein.« Innere Beseeligung wird Beseelung von
Wald und Hochland, unendliches Wohlwollen leiht sichtbarem Naturleben Weihe des Unsichtbaren. Mehr Menschen fanden
zufriedenes Seelenglück auf Buddhas Pfaden als auf den dornigen eines Jesu mißkennenden Kirchentums, das im besten
Fall nur haluzinative Ekstase gewährt, wie sie der mit Julien und Kindlein spielende Jesus gewiß nicht
wünschte.
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Für Gebildete hat pfäffisches Dogma den Schacht so verschüttet, daß der englische
Aufklärungstheologe Robertson naiv ausplaudert, niemand wisse, was Jesus meinte! Mit Verlaub, das weiß der sehr
wohl, wer in fragmentarischen Bruchstücken den wahren Wind des Unsichtbaren (Gespräch mit Nikodemus) wehen
hört und in »wer sich rein fühlt, werfe den ersten Stein«, »so verurteile ich dich auch
nicht«, den Donner höchster Erhabenheit rollen hört. Ob Philo oder die Buddhistensekte in Alexandria (Flucht
nach Ägypten) oder griechische Mystik (Himmelfahrt) auf den Nazarener einwirkten, wäre belanglos, denn
mögliche Anregungen sind hier zu etwas ganz Eigenartigem verarbeitet mit besonderer Persönlichkeitsnote. Die
Ohnmacht der heutigen Christianität, nachdem das Brimborium vom »eingeborenen Sohn Gott Vaters« nur noch als
Kuriosum geistiger Erkrankung des Mittelalters belächelt wird, offenbart sich am kläglichsten in der letzten
Zuflucht, daß Christi Lehre überlebt, doch seine Persönlichkeit vorbildlich sei. Diese ist ja nicht mal
historisch beglaubigt, jedenfalls lehnen wir die geistliche Fiktion ab, daß Jesu persönliches Erdenwallen
besonders übermenschlich gewesen sei. Gleich ihm sind alle Geistmenschen von Kirchenpharisäern und
Pilatusstaatbüttelei verfolgt, gar viele gekreuzigt und verbrannt worden. Wer sich auf diese abschüssige
Fährte begibt, kommt zu Renans süßlich-ironischer Wehmut, der in Jesus nur einen überspannten
Volksredner sieht mit populärer Anknüpfung an messianischen Aberglauben. Das Mitleid Fürst Pücklers
(Briefwechsel mit Bettina), der gute Jesus würde heute als Landstreicher nach Spandau befördert werden,
enthüllt die Erbärmlichkeit der modernen Gesellschaft nicht kläglicher als die unreife Überhebung,
daß man mit dieser »schlichten« Liebeslehre unter Gebildeten nichts anzufangen wisse. Nein, es ist gerade
diese Lehre, in deren Namen der Menschensohn spricht: »Wer auf mich baut, wird Wunder tun wie ich, ja
größere als ich« (Ev. Joh.), die Lehre und nicht die Person ist es, die das Göttliche in Jesus
verkündigt. Durch telepathische und hypnotische Phänomene heute belehrt, sehen wir in seinen Wundern nur Ergebnisse
einer in ungewöhnlichem Maße freigewordenen subliminalen Kraft, welche Mary Corellis »Romance of two
Worlds« möglichenfalls richtig auf elektrische Entladungen einstellt. Die Antike, an Erscheinungen wie Apolonius
gewöhnt, sah in solcher »Zauberei« nichts Außerordentliches, wohl aber in der Lehre.
Julian Apostata, der mystischer Magie nachging, rief »Nazarener, du siegst«, der englische Atheist Saladin
(Pfarrer Ross) preist Julians herrliche Sterberede. Hätte dieser sich die Mühe gegeben, die Evangelienlehre zu
studieren, wäre er nie Apostat geworden, jeden Abfall von Christus verschuldete immer nur die Pfaffenkirche. Nein, nicht
überlebt ist Jesu abgrundtiefes Fühlen, diese stete Beziehung hochbegnadeter Psyche zur Weltseele, die er für
Menschenverständnis »Vater im All« nannte:
Ouranoi, Himmel im Plural, Vater in griechischer Mystiksprache gleich Urgrund. Nie nannte er sich Gottsohn in anderem
Sinne als der »Lichtsöhne, weil wir Kinder Gottes sind«, nie sprach er den Unsinn »selig sind die
geistig Armen«, sondern »die nach Geist hungern«, selbst »die reines Herzens sind« ist falsche
Übersetzung eines schwerverständlichen Ausdrucks, der Sinn ist: »die aus der Einzäunung der Materie sich
befreien, denn sie werden Gott schauen«. Deshalb durfte der Menschensohn (ausdrücklich von ihm betont) das vom
Pöbelwahn plump wörtlich verstandene stolze Bekenntnis wagen: »Ich und der Vater sind eins.«
[Fußnote]Katharos bedeutet einen von Dickicht und Unkraut gerodeten Freiplatz: selig sind, die freien Blickes sind.
Laut Harnack hielt das Konzil von Nicäa den Heiligen Geist nur für Ausfluß Gottes, nicht Separatperson. Die
Dreieinigkeit des Athanasischen Credo entspricht der Brahmanischen Teilung: Gott,
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