Der Aufgang Des Abendlandes
Farbenblindheit,
die doch nur eine psychische Lücke sein kann, oder Bevorzugung und Erzeugung von Farben durch Gemütsbewegung. Dem
Jähzornigen wird es rot vor den Augen, und wenn der Okkultismus die Aura mit bestimmten Farben bekleidet, so verbindet
schon der Volksglaube Gelb mit Neid, Grün mit Heuchelei. Vorliebe für bestimmte Farben hat sicher psychische
Ursachen, Gewalthaber lieben nicht umsonst Purpur und Scharlach, die Blutfarbe der Macht, während auf andere Naturen
Blau oder Weiß besondere Anziehung übt. Das zweite Phänomen ist willkürliche Farbenerzeugung bei
geschlossenen Augen im Dunkel, obwohl hier manchmal bestimmte Reize bei Schließen des Auges vorhergehen, so daß
frühere Dichtreflexe sich in Farben umsetzten. Gleichwohl bleibt der Vorgang merkwürdig, denn die meist dunkel-
oder rosaroten oder grünen, gelben, blauen Lichtkugeln oder -kreise, die sich vor dem inneren Auge bilden, entstehen
doch nun mal ohne direkte Imprägnierung der Netzhaut durch Dichtwellen. Treten also hier die Farben im Dunkel klar auf,
so sind dies nur Erinnerungsbilder: wenn daher unter Ausschluß des Auges der innere Sehnerv sich erinnert und
desgleichen Landschaften, Figuren, Porträtköpfe bei geschlossenem Auge vorüberschweben, so ist dies ein
gänzlich psychischer Akt, unsichtbar-sichtbar, und hierdurch wird jeder Farbeneindruck als Psychisches Auffangen und
Einstellen der Ätherwellen bewiesen. Für das völlig Spontane und Blitzartige dieser innern Photographien einer
psychischen Dunkelkammer fehlt jede Erklärung, es sei denn die einer präexistenten Erinnerung bei vorher nie
geschauten willkürlich hervorgezauberten Bildern, übrigens sind ja auch farbige Dichtkreise nichts früher bei
offenem Auge Gesehenes.
Für Kant dreht sich alles darum, daß ohne apriorisches Erkenntnisvermögen auch Sinneswahrnehmung
unmöglich sei. Das läßt sich noch tiefer fassen. Die Uhr tickt stets, wir überhören ihr
Geräusch, plötzlich hören wir es stark in der Nachtstille; sobald wir aber darüberweg denken, hört
der Ton für uns auf und wird unhörbar. Überzeugt nicht solche Beobachtung, daß die Sinne vom
Bewußtsein abhängen, d. h. vom Willen, etwas zu sehen und zu hören? Die Psyche will, daß der junge
Weltbürger die Augen aufschlägt, die unendlichen Folgen davon sind aber kein mechanisches Abrollen, denn alles
Geschaute richtet sich ja nur nach den Gesetzen der uns eigentümlichen Anschauung. Elefant oder Biene sehen und
hören anders als wir, verarbeiten ihre Welt nach ihrem Erkenntnisvermögen und schaffen damit genau so relative
Werte wie wir. Der Täuschung entrinnt man nur durch Abstreifen des Lebens, es aber deshalb für zwecklos halten, ist
sträfliche Anmaßung der unreinen »reinen« Vernunft, da eine Täuschung auch nur Täuschendes
über sich aussagen kann. Sinnlicher Anstoß für alles Denken besagt nichts für den Sensualismus, denn das
Sinnliche ist selbst schon unser Denken. Fichte, Hegel, Schopenhauer beriefen sich bei Suchen nach Dingen-an-sich irrig auf
Kant, der eine Wirklichkeit außer uns zugab, nur daß wir sie eben durch unsere Vorstellung erfassen, was laut
Mill induktiv, laut Schopenhauer deduktiv erfolgt. Ob wir mit letzterem nur eine Kategorie oder mit Kant zwölf
unterscheiden, so viel ist sicher, daß Erfahrung, von der Wissenschaft soviel Wesens macht, nur »das erste
Produkt ist, das unser Verstand hervorbrachte, indem er den rohen Stoff bearbeitete« (Kant). Pochen auf Erfahrung
entspringt daher philosophischer Unreife, Zustandekommen individueller Urteilssammlung erweist als primär einen schon
gegebenen Intellekt. Deshalb hilft dem Materialismus nichts, daß Urteile und Begriffe mit Empfindung und Wahrnehmung
zusammenhängen, denn nicht letztere bringen erstere hervor, sondern die ersteren sind selber die Ursachen derjenigen
Wahrnehmung, über die sich gleichzeitig ein Urteil bildet. Käme hier Materie in Frage, so wäre es nicht die
der Außenwelt, sondern unseres Hirnapparats, durch den erst die Erscheinung sich vor uns bildet. Selbst wenn wir so
konsequent monistisch denken, daß identische Entwicklung von Hirn und Erscheinung möglich scheint –
wächst doch unzweifelhaft das Hirn mit zunehmender Erscheinungsaufnahme –, so kann dies nie materialistisch
gedeutet werden. Daß Seh- und Weltraum spezifisch verschieden sind, befriedigt zwar nicht den Materie-Monismus, wohl
aber den transzendentalen im Einklang des Unsichtbaren. Der
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