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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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zur
Lebenserhaltung, Hunger und Lebensdrang sind identisch, somit deckt Gegenwart sich mit Vergangenem und Zukünftigem,
Körperleben hat kein Ziel, das nicht schon zu Anfang vorhanden war und ewig gleich bleibt, alles Streben ist Konstante,
Auswirkung stets die nämliche. Wenn die Wärmetheorie bis auf Youle die Wärme mit der Bewegungsqualität
gleichsetzt, so bleibt diese Äquivalenz ungeklärt, solange man nicht die Ursache der mit Wärme identischen
Bewegung kennt. Nun, das unbekannte Dritte als Impuls von allen ist das Empfinden in der Natur mit der Allempfindung Gott.
Dies fühlte Brunos Affetto universale, im Anfang war das Allgefühl, Logos bedeutet nur das Ausdruckswort, in dem
sich Gott entladet. »0 könnt' ich doch verkörpern, was ich fühle, und wär' ein Blitz das Wort, ich
sprach es!« erfleht Byron das Logoswort, man wird kein Seher, d. h. Sehender ohne Inspiration nach oben und Intuition
nach unten, jeder Dichter hat mehr Empfindung, d. h. Anschauungsfähigkeit als Kant. Die baufälligen Systeme der
Rationalisten zeigen die Vernunft als launische Dame, die jedem ihrer Günstlinge etwas anderes diktiert.
    Bei dieser amüsanten, aber mißlichen Posse bildet die Vernunft sich ein, induktiv zu verfahren, während
sie deduktiv voraussetzt, so konnte der Deist Voltaire sich über das Lissaboner Erdbeben nicht beruhigen wegen
Voraussetzung einer um die Menschheit väterlich bemühten Gottheit. Womit verdient der Mensch solche Bevorzugung?
Der redlich Empfindende bekennt demütig, daß eine schlechte Menschheit eine bessere Welt nicht haben könne,
egoistische Forderung gegen kühle Notwendigkeit; daß aber der Mensch nicht moralisch ist, beweist nichts gegen
moralische Weltordnung. Der Abenteurer Trelawney spricht mal aus, was wir erfahrungsgemäß bestätigen,
daß der Freitag der Seeleute als Unglückstag für alle wahr werde, die daran glauben (Byron, Bismarck u. a.)
d. h. ihr Empfinden darin verankern. Wechselbeziehung individuellen Gefühls zur vorgestellten Wirklichkeit ist
wesentlich für Erkennung des Allaufbaus aus lauter Individuellem. Ein Schriftchen »die innere Stimme« von v.
Rechenberg deckt Gefühlszeichen auf, die als Instinkt aktiv und passiv bestimmen, auch wenn sie dem Verstand
zuwiderlaufen, ähnlich Sokrates' Daimon. Dessen Verteidigungsrede schloß aus jetzigem Schweigen des Daimon, der
ihn sonst vor jedem Übel warnte, sein bevorstehender Todesgang sei kein Übel, ihm war also Empfindung die Stimme
inneren Wissens. So fühlt sich Eydt von leisem Schauder gepackt, »wenn mir aus tiefstem Grund der materiellen
Natur das immaterielle: Leben entgegentritt, Vergeistigung der Materie sozusagen unter den Fingern.« Den astronomischen
Radius besäte der Mensch mit Sternbildern, die er symbolisch benannte, antike Mystik glaubte an Liebesbeziehung in
Gestirnbewegung, wie es Mussets Rolla so inbrünstig besingt. Vermenschlichte Gefühlssymbolistik bringt vielleicht
der Wahrheit näher, da alles Naturgeschehen in Licht und Äther rational unverständlich bleibt. Lehrte doch
Paracelsus eine »Religion der Arznei«, indem er aus natürlicher Signatur belebter und unbelebter Stofformen
gesetzmäßig Heilkräftiges ableitet. Den durchaus psychischen Charakter des Lebens enthüllt auch das
Driesch-Experiment. Schneidet man die Kopfzellen eines Froschkeims ab und versetzt sie als Hinterfüße oder setzt
man umgekehrt letztere an den Kopf, so verleugnet sich die zoologisch vererbte Anlage: Die umgewechselten Zellen
erfüllen die gleiche örtlich zugestimmte Aufgabe, die Hinterfüße entwickeln sich als richtiger Kopf, die
Kopfzellen als richtige Hinterfüße. Mechanische Strukturlage der Mutterzellen beirrt also nicht die Idee des
Organismus, das Keimplasma handelt nicht psychomechanisch, sondern nach unsichtbarer Anordnung. Durchdenkt man dies
Experiment, verschlägt es dem Rationalismus den Atem.
    »Der Mensch an sich selbst ... ist der größte und genauste physikalische Apparat... und das ist eben das
größte Unheil der neueren Physik, daß man die Experimente gleichsam vom Menschen absonderte und bloß
in dem, was künstliche Instrumente zeigen, die Natur erkennen, ja was sie leisten kann, dadurch beschränken und
beweisen will« (Goethe »aus Makariens Archiv«). Wie klar geahnt für jeden der selber Klarheit hat! So
nähert sich Goethe wie Leonardo wahrem Naturerkennen, weil Künstlerauge die schöpferische Künstlerin
Natur verständnisvoller liest als

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