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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Brüle der Wissenschaft, die nur Staubfäden und nie inneren Saft der Pflanze
bemerkt. Jede von der Psychevorstellung abgesonderte Betrachtung wird das größte Unheil, weil gerade sie sich von
wahrer Natur entfernt und über physikalischem Apparat den Motor des Menschenwesens vernachlässigt, dessen
psychische Beschaffenheit allein die Natur erklärt. »Ins Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist,«
wohlverstanden, weil dies Innerste den letzten zureichenden Grund enthält, der sich nicht in endliches Denken fassen
läßt, doch das Äußere der Natur kann nie verstanden werden ohne die fortwährend darüber
hinblitzenden Ausstrahlungen aus dem intuitiv geahnten Innern. Da deutsche Bildung so fest auf Goethe baut, muß sie
sich auch den Wahrspruch »zur Naturwissenschaft« zu eigen machen: »Warum sollte es nicht unsichtbare Welten
geben, sind die neuentdeckten Planeten nicht der ganzen Welt unsichtbar außer wenigen Astronomen, denen wir auf Wort
und Rechnung glauben müssen?« So ist es, das Unsichtbare als Welttatsache kann aber seherisches Schauen mit
psychischen Teleskopen entdecken, bis Zentralplaneten der Wahrheit dem Seelenastronomen sichtbar werden. Bulvers Aufsatz
»Neigung zum Universalismus« nennt alle Spezialisten »Milben, die an einem einzigen Blatt am Baum der
Erkenntnis brüten«. Auch Ameisenbären schnüffeln umsonst nach Weltordnung. Nur der Universalist
erfaßt das Universum, doch freilich muß er Psychespezialist für Individuelles werden.
    Luden sagt in Einleitung zu Herder, daß die Alten nicht grausamer waren als wir, jedenfalls erfand man neue Foltern
gegen alles Ungewöhnliche, um den Abstand zu verringern, wie Schönfeld-Nordaus Zersetzungssucht
»Entartung«. Seine psychiatrische Diagnose des Musikfimmels (alle Irren musikalisch, laut Sollier Musik die
ungeistigste Kunst, »sie verdummt«, bekannte jüngst ein bekannter Musiklehrer) bleibt Wagner gegenüber
leidige Philistermache, so wenig wir das Abendmahl in beiderlei Parzifalgestalt einnehmen möchten. Solch
schnüffelndem Schwachmatikus, der als Frauenarzt überall Hysterie wittert, wird zuletzt jede Idealromantik
Auswanderung der Vernunft, obschon ein süßliches »Blessed Damozel« nur natürliche Reaktion gegen
bebrillte Verstandschulmeisterin. Er nennt Ruskin einen gestörten Frömmlerfanatiker, dessen praktischer
Utilitätssinn vielmehr das solid Handwerksmäßige der Bildtechnik empfahl. »Romantik und
Gegenwart« (Ewald) verstehen sich heut ganz gut. »Zum Genie wird Talent durch dauernde Fähigkeit der
Anpassung« (Mach)? Dann sind Nordaus Entartete alle Genies, denn sie paßten sich famos der Zeitströmung an,
gegen die zu schwimmen sie strampelnd vorgaben. »Anpassung« tut's dem Verbohrten an, tatsächlich paßt
umgekehrt die Gesellschaft sich ihren Chorführern an. Der Durchschnitter, für den die Griechen ein besonderes Wort
prägten, bleibt stets passiver Untertan jeder Hypnose, obschon er mit Normalität prunkt.
    Der Begriff Endzwecke brachte »der Naturwissenschaft keinen Vorteil«? Derlei ist gar nicht ihres Amtes, denn
»die Erde ist klein« (Kolumbus aus Jamaika), das Jenseits des Unsichtbaren lebt aber schon auf Erden, deshalb
fiel Entstehen von Sternkunde und Religion zusammen (Falb, »Sterne und Menschen«). Ob Geburt ein Lethetrank
versinnlichter Vergeßlichkeit, Tod sich erinnernde Selbstbesinnung, jedenfalls würde durch Austrocknen aller
Erinnerung das Leben irrsinniges Schattenspiel, und Lichterkennen in diesem Dunkel ist alles Lebens Endzweck. Das Schöne
hat seinen eigenen Weg zum Wahren und Guten, nur darf man es nicht äußerlich ästheteln wie Shaftesbury. Seine
Griechenästhetik gab Anaxagoras den Genieblitz ein, der Mensch sei geboren »zum Anschauen«. Wer Leben als
Fleischerladen sieht, den kümmern nur Sinken der Fleischpreise und Billigkeit des Rindviehs, doch wenn die Zähne
zum Beißen ausfallen, dann jammern Fleischergesellen über Bankrott der höchsten Güter. Es gibt nur eine
Selbstlosigkeit, im Geiste leben, alles andre ist Selbstbefleckung. Versuchungen des heiligen Antonius und Bekenntnisse des
heiligen Augustin sind nur dem Grade nach von All-Gemeinheit verschieden, der eine will eben »den Himmel«
erwerben wie der andre Geld. Die wissen nicht, was sie tun, die wie Bertax' »Zweifel« in unbekannte Welten
Christus als Allbekenntnis einführen, vor Plato würden sich »Ideen« als Olympier verkörpern. Das
»Haupt voll Blut und Wunden«

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