Der Aufgang Des Abendlandes
Schüler persischer Magier in Abdera, nur deshalb das Wunderbare befehdete, weil alle Wunderokkulte
natürlich seien, dem Pythagoras verwandter als dem Epikur. Kants scholastische Verstandesschärfe erinnert eher an
Aristoteles als an Plato. Obschon er alle Wissenschafter als eine nur dem Grade nach vom Gewöhnlichen verschiedene,
dagegen die Künstler als besondere überlegene Menschengattung erklärte, fehlte ihm selber diese Gabe
plastischer Veranschaulichung in Plato und Bruno wie in Buddha und dem Urheber des Johannesevangeliums. Unter diesen vier
großen Seelen-und Naturerkennern (Bruno auch naturwissenschaftlich wie Cusa und Paracelsus) war der feingebildete
Grieche der Unklarste, seine »Ideen« sind lange nicht so scharf umrissen wie die visionären Erkenntnisse von
Meister Eckhardt, Böhme, Angelus Silesius und sogar Swedenborg, wenn diesen nicht seine theologische Denkweise entstellt
hätte. Kant bekehrte sich innerlich zu Swedenborg in geläutertem Sinne und es wirkt tragikomisch, daß die
Wissenschafter seine »Träume eines Geistersehers« für Ironie ausgeben, weil Kants praktische
Privatvernunft sich sicherer Zweideutigkeit befleißigte. Sobald man ihn als »titanischen Bahnbrecher«
würdigt, erkennen wir keine besondere Eigenart in ihm, er fußt ganz auf Hume und Locke, dessen »Essay
über menschliche Vernunft« (»Understanding« bedeutet hier nichts Anderes) heut wohl nur wenige
gründlich lasen, oft so subtil wie Berkeley, der Stammvater von Fichte und Schopenhauer. Erst die moderne
Utilitätsphilosophie von Mill und Spencer brachte einen Ton ins englische Denken, der mehr mit dem Empiristen Francis
Bacon, dem »Haupt aller Philister« (Goethe) als mit dem mystischen Roger Bacon zusammenhängt. Im
übrigen darf man jene älteren Engländer als die wahren europäischen Bahnbrecher im Erforschen von Subjekt
und Objekt anerkennen. Für uns ist Kant so wenig wie der magisterhaft am Weltphänomen herumdozierende Hegel der
wahre Logiker, sondern jeder unserer großen intuitiven Mystiker, während Descartes' konfuser Dualismus, Spinozas
abstrakter Substanzmonismus, Condiliacs Sensualismus sich in lauter Widersprüchen bewegen, letzterer seine Unlogik
selbst gestand, indem er Möglichkeit körperloser Seelen zuließ, also den gleichen Weg ging wie der alte Kant
mit seinem Korpus Mysticum. Es ist Falschmeldung, daß Kants Vermächtnis noch heute lebe, unmöglich als
zwiespältiger Torso ohne innere Einheit. Sein Hauptwerk ist geistig tot, nur das wegweisend, was er im Alter ahnte.
Natürliche Pietät für seine Zeitgröße, obschon sein schiefes Verhältnis zu Fichte ihn zu einem
sonderbaren Zeitgenossen stempelt, täuscht nicht darüber, daß seine erfundenen Imperative so kategorisch
mißverständlich wirkten, daß er und der Revulotionär Fichte in der Kinderfiebel des Obrigkeitsstaats
als preußische Schutzheilige prangen. Er gehört einer längst abgeschlossenen Epoche europäischen
Denkens, Neukantianer ändern nichts daran. Goethe wandte sich zwar von Spinoza zu Kant, zuletzt aber zu Bruno und
»Magie«. Er als der geniale Mensch konnte in Kant auch nur einen ungenialen Professor wahrnehmen und hielt
wahrscheinlich Byrons Kain, der sich auffällig mit Blawatskis »Geheimlehre« deckt, für viel echtere
angeschaute Philosophie. Aufs Systemspinnen kommt nichts an, Leonardos Kunstgenie hinterließ seherische Tiefblicke,
tiefer als des ganzen Kant halb rationalistische, halb ideologische Vernünftelei. Wenn Mechanisten vor so manchem
Orakel, das jener Mechanikgenius auf Randecken von Zeichnungen kritzelte, erschrecken müssen, würde etwa Kant ihn
besser verstanden haben? Wo Vernünftelen aufhört, beginnt die Intuition. Wir verloren uns schon in höhere
Gebiete, die Kants Rationalismus fern liegen. Das vielfach bedeutende Buch von A. Classen »über den Einfluß
Kants« 1896 wettert gegen doppelte Buchführung, die nebeneinander Religion und Wissenschaft bestehen
läßt, tut aber dann desgleichen und versteht Kant so, daß man das theoretisch Abgelehnte nachher zu eigener
Befriedigung wieder glauben muß. Ist der Verstand dazu berechtigt, der nie über Sinnliches hinausreicht, was
metaphysische Ideen nicht haben können? Wir stoßen stets auf die Ergötzlichkeit, daß Materialismus,
richtig verstanden, in abstruse Mystik mündet. Denn er setzt voraus, daß die Außenwelt sich
überwältigend in den Hirnraum ergießt und jede Selbständigkeit darin erdrückt,
Weitere Kostenlose Bücher