Der Aufgang Des Abendlandes
finden Simmels Ausdruck glücklich, daß Transzendenz dem Leben immanent sei, Bergsons durèe als
dauerndes Fließen realer Augenblicke hat mehr für sich, als Zeit nur als unendlich Ruhendes (Lotze)
gewissermaßen aus irdischem Vorstellungskreis zu verbannen, Zeit ist für menschliche Vorstellung weder ruhend noch
fließend, sondern beides zugleich.
Graf Kayserlings »Reisetagebuch eines Philosophen« meint: »Ich denke, um zu leben«, »alles
dient dem Leben«, ebensogut könnte man sagen »Ich lebe, um zu denken«, »alles dient dem
Denken«, denn Leben wird nur durch Denken bewußt, psychisches reales Erlebnis, wobei es keine Täuschung
gibt, den Satz »Ich denke, daß ich lebe« kann nichts erschüttern. Bergson (»schöpferische
Entwicklung«, »Natur und Gedächtnis«) wirft dem Intellekt natürliche Verständnislosigkeit
für das Leben vor, das nur eine einzige gegen das Leben anstürmende Woge sei. Ein Impuls zu immer höherer
Bestimmung, Nichts sei ein undenkbarer Begriff. (Gewiß, doch nicht deshalb unmöglich, weil wir uns absolutes
Vakuum nicht vorstellen können.) Wir unterschreiben ja gern Bergsons Anschauung und auch Huxleys Wort »das Jetzt
lag schon im Urnebel als möglich«, da eben ewige Rotation ewige Transformation bedingt und einmal Gestaltetes sich
unendlich vervielfacht. Doch läßt sich nicht verkennen, daß apodiktische Sätze wie obige oder in
Windelbands »Welttheorie des Urteils« sich nie genügend begründen lassen. Leben contra Materie ist
eigentlich ein Unding, nur denkbar für altmodisch überlebten Begriff starrer Körperlichkeit, denn beseelte
Materie, wie man sie heute wohl oder übel auffaßt, steht ja selbst im Lebensfluß. Den Impuls in Ehren, doch
»immer höhere« Bestimmungen vermutet man zunächst nur, im Leben selbst spüren wir höchstens
schwache Anzeichen. Hier stellt sich die Unveränderlichkeit schon im seltsamen Problem dar, daß der Körper
unaufhörlich seine Zellen ersetzt und umbildet, geistige Vorstellungen sich ändern und vermehren, gleichwohl die
Persönlichkeit sich nie ändert. Mit bloßem Lebensbegriff reicht man da nicht aus, denn das Ichbündel von
Geistigem und Körperlichem berührt nicht den Kern des subliminalen Selbst. Somit ist nicht das Leben Urheber der
Psyche, sondern sie der Herr des manifestierten Lebens. Für W. Stern »Person und Sache« besteht die Welt aus
Substanzen, die zugleich Kausalitäten und Individualitäten sind. Nun ja, jeder Organismus, ob Planet oder Mensch,
ist notwendig ein Kausalprodukt präexistenter Faktoren, aber wie es sich dabei als besondere Individualität
manifestiert, dafür ist der Begriff Substanz bemühend, denn Individualität ist nichts Substantielles, sondern
stofflos unfaßbares Unsichtbares. Wir haben gegen diesen Tiefsinn, den wir sonst billigen, eben einzuwenden, daß
er der einzigen geziemenden Begründung aus dem Wege geht, der Karmalehre. Heymanns »psychischen Monismus«
müßten wir als verwandte Denkart begrüßen, doch er bleibt unbefriedigend, weil transzendente
Ergänzung fehlt und Bedeutung des Unbewußten nirgends recht gewürdigt wird. Hirnprozesse seien Abspiegelung
psychischer Kausalität, was soll man sich dabei denken, Parallelismus wahrnehmbarer Hirnvorgänge zu unsichtbarer
Bewegung einer außerhalb waltenden Psyche? Doch wohl nicht, denn sie hat ihre zeitliche Wohnung im Nervenfluidum
selber, das Hirn »spiegelt« nicht passiv, sondern ist ein aktiv mitklappernder Handwerksapparat. Man wird nicht
daraus klug, ob solcher Panpsychismus idealistisch mit allen Konsequenzen gedacht sei. Da orientalische Mystik Edelsteinen
und Metallen besondere psychische Werte zuschreibt, so ist eine Steinseele denkbar, doch, womit denkt sie ohne Hirn, womit
vollends das Protoplasma? Abtrennung der Planeten vom Urnebel ist motorisch unverständlich. Ist Naturgeschehen keine
bewußte Willenshandlung, diese daher kein Geschehen, sondern etwas Gesondertes des organischen Lebens? Wir wissen es
nicht, strenger Monismus wird Vermengung beider Elemente voraussetzen. Staudenmayers »Magie als experimentelle
Naturwissenschaft« kann beim besten Willen so getrennte Gebiete nicht vereinen, an und für sich arbeitet Magie,
wie sie Goethe als Dämonisches erkannte, nie experimentell.
Seelisches Empfinden stammt unmittelbar weder aus Sinnesnerven noch Außenwelt, denn wir empfinden Schmerz und Freude
über ein räumlich ganz entferntes Geschehnis, rein intellektuelle Eindrücke
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