Der Aufgang Des Abendlandes
werden zu Erlebnis. Doch wenn
Wundt das Denken »die letzte Ursache und letzten Zweck der Dinge« nennt, so klingt dies ziemlich verschroben.
Ursache kann nicht zugleich Zweck sein, Psyche ist nicht identisch mit Denken, die Welt ist keine peripatetische
Denkerschule, letzter Zweck des Weltdaseins ist nicht Denken, sondern ewiges Leben. Für Boutroux »Kontingenz der
Naturgesetze« ist alles Sein, also auch das unorganische, Leben. Bewußtsein sei eine freie Schöpfung nicht
aus Vergangenheit, sondern immer Neuerstehen. Er und Bergson glauben an schöpferische Entwicklung, die keinen
Vollkommenheitsgott bedarf, es sei denn als Zielideal. Diesen neuen Kurs, um Gott gleichsam herumzusegeln, machen wir nicht
mit. Solche Entwicklungsfahrt will am Ende aller Zeiten in einen Gotthafen einlaufen, den sie selbst fabrizierte!
Drauflosschaffen ohne Protektion regulierender Zentralmacht würde chaotisch enden. Um derlei überhaupt sich
vorzustellen, müßte man erst schöpferische Aufwärtsschwingung irgendwo bewiesen haben. Das ist aber
nicht so, wir können nur transzendente Evolution jenseits der Bewußtseinsschwelle annehmen, ohne uns ans sichtbare
Weltbild zu halten. Daß Entstehen des Bewußtseins ein immer neuer Schöpfungsakt sei, würden wir gern
bejahen, aber Loslösen von der Vergangenheit ist unsinnige Willkür, da unser gesamtes Seelenleben sich aus
Erinnerung speist und das stete Neuerstehen von Ichen unbedingt Wiedergeburt aus früherem voraussetzt. Sobald sich der
moderne Mensch wie ein mittelalterlicher Scholastiker ans Religiöse wendet, wird er voll von Widersprüchen wie bei
R. Otto »Das Heilige«, zugleich irrational und rational wie in Kierkegaards »Absurdum«. James
»religiöse Erfahrung« verweist auf gewisse Akte des Unterbewußtseins, die scheinbar im Gegensatz zu
Früherem plötzliche Bekehrungen vollbringen. Doch auch dies ist determiniert, denn das betreffende Unter-
paßt zum entsprechenden Oberbewußtsein gleich individuell, Obiges hätte also nur »freie«
Bedeutung, wenn das subliminale Selbst etwas fundamental Ungleiches wäre. Die süßliche Annahme, dies sei das
Göttliche in jedem Wesen, muß der Erkenntnis Platz machen, daß es nichts anderes ist als die wahre
Individualität der betreffenden Psyche, die im Ober-Ich durch Milieuzwang nur unklar auftritt. Romain Rollands
Schlußweisheit, daß Christof »in Gott eingeht«, kommt unvermittelt und macht sich als gebrochenes
Zukreuzekriechen durch Nervenerschütterung, nicht als klares Erwachen. »Vom öffentlichen Geheimnis des
Lebens« weiß Schrempf auch nichts mehr als subjektive Erlebnisse religiöser Dämonologie, Jodls
»Geschichte der Ethik« ist im Grunde wenig ethisch, Simmels »Schopenhauer und Nietzsche« vermag die
Problemstellung des Pessimismus und Machtoptimismus nicht zu lösen, Hoffdings »Erhaltung des Werts« und
Rickerts Verbinden von Wert und Wertschätzung gehen wie die Katze um den heißen Brei herum, daß Wert und
Welt einander nicht gleichzusetzen sind. Wert ist in der Welt, Welt als solche wertlos, alles in ihr Geschaute nur Bild,
liebenswert durchaus variabel. Eür Stinnes ist Anhäufen von Milliarden durch allgemeine Verelendung ein herrlicher
Lobenswert, der in seinen Lebenswert versunkene Mystiker braucht Gott nicht, findet ihn irreligiös in sich selber. Wenn
Spengler sagt »die Menschheit hat kein Ziel«, so gibt die Geschichte ihm recht, für Buddha war
Überwindung der Vielheit durch gegenstandslose Ruhe ein Endziel, das auch Tolstoi als asketisches Sterben der Menschheit
vorschwebte. Wo bleiben hier die Werte, sind sie Wesenheit oder Illusion wertbeständiger Individualitäten? Boehns
Untersuchung »fremddienliche Zweckmäßigkeit der Pflanzenzellen« 1917 widerlegt Anpassungs- und
Ausleselehre, denn die Pflanze sorgt emsig aufs sinnreichste für ihren Schädling, das Gallentier. Wurzeln beide
deshalb in überindividuellem Wesen, das sie gemeinsam leitet? Leider läßt sich so vorschneller Schluß
bestreiten, wir glauben entweder Unterwerfung oder Täuschung der Pflanze zu erkennen, indessen erhellt daraus klar
bewußtes Seelenleben der Pflanze. Das ist wichtiger als »Ideen zu einer Phänomenologie« (Hasserl), da
solche Ideen sich je nach dem subjektiven Beschauer widersprechen. So sieht Rickerts »Philos. d. Lebens« 1920 nur
Ordnung, während Driesch nur Unordnung sieht, jedenfalls hüte man sich vor flachen Optimismus wie in Lask
»Logik« 1911 und Nelson
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