Der Aufgang Des Abendlandes
»Grundlagen der Ethik«, lauter unbewiesene Postulate wie in Euckens
»Grundlinien neuer (!) Uebensauschauung«, für den Ethik schon als Beweis für überpersönlich
göttliches Erleben gilt. Das nennt man »Wahrheitsgehalt der Religion«, mit solchen hohlen Phrasen
schädigt man nur das Ansehen des Idealismus bei kritischen Köpfen. Pflichtethik ist nur Folge des
Gemeinsamkeitstriebs, ethische Gesinnung durchaus nur individuell, vielmehr Hartherzigkeit und verlogene Ungerechtigkeit viel
verbreiteter. Wenn Dessoir »vom Jenseits der Seele« göttlichen Ursprung des Daseins für außer
aller Frage hält, Rehmke »Philos als Grundwissen« feiert, Scheler »Formalismus in der Ethik«
alle Werte in Gott lokalisiert findet, Jeitler »das Wesen des Katholizismus« treffend eine Religion hinter allen
Religionen und darin den Gottesbeweis sucht, so sind das ja löbliche Ansichten, doch werden oft mit dunklem
Geschwätz verfochten wie in Yin Ra »Buch vom lebendigen Gott«: »Gestaltung bedingt zuletzt Erstarrung
in Sichtbarkeit sinnfälliger Welt« – wie »zuletzt«? Sichtbarwerdung ist sofortige
Sinnfälligkeit psychischer Gestaltung. Wie könnte die unsichtbare Mitarbeit als gleichzeitiger Akt je Erstarren im
ewig fließenden Werden zulassen? Für Schneiders »Metaphysik als exakte Wissenschaft« ist Dasein nur
Wahrgenommensein. Man kann jederzeit gegen jeden Teil seiner Anlage ohne Rücksicht auf die Lage Stellung nehmen? Solche
Apotheose des freien Willens macht lachen. Oestereich »Okkultismus und Weltbild« führt allein in neue
Regionen über.
2
Daß alle Bilder sinnlichen Wahrnehmungen entspringen, widerlegt die Telepathie, freilich darf Okkultismus dies nicht
zu wörtlich nehmen, auch telepathische sind eben Wahrnehmungen, auch Hellgesicht ein Sehen. Man hält für
unvereinbar, daß die einen nur Wahrnehmung, die andern nur Vorstellung für maßgebend halten, doch jede
Wahrnehmung stellt sich etwas vor, jede Vorstellung nimmt etwas wahr. Dem Materialismus entgeht, wie viel geschickter er
operieren könnte, wenn er okkulte Phänomene frischweg anerkennte, doch lieber macht er sich lächerlich durch
Leugnen, um nicht seine alte Position wechseln zu müssen. Wohl könnte er vorschützen, zwar sei bisheriger
Materiebegriff zu eng, doch bei jetziger Erweiterung des Psychebegriffs sei sinnliche Realwelt nicht auszuschalten. Wir
stellen das Grundgesetz auf: Unsichtbares läßt sich nie sehen; nehmen wir Ebene nach Ebene, Jenseits nach Jenseits
an, so wird auch dort das Wesentlichste unsichtbar bleiben. Wer Geister persönlich sieht, Stimmen hört,
schriftliche Botschaften aus anderer Dimension empfängt, befindet sich stets noch in der Sphäre sinnlicher
Wahrnehmung, auch bei Verrückung räumlicher und zeitlicher Grenzen lebt Trance noch in der Welt des Scheins.
Vermutlich war das Stammkapital jedes Seelengehalts ursprünglich gleich, der Weltseele entnommen. Telepathie beweist
Vorhandensein überindividueller Eigenschaften im Unbewußten, welche »nicht dem Individuum allein
angehören« (Tischner), aus Gemeinsamkeit, dieser seelischen Regionen entsteht Kontakt von
Gedankenübertragung, und solche Infusion der Weltseele muß bei jedem Lebewesen gleicher Gattung die nämliche
sein. Nun sind aber Bewußtseinstände der einzelnen Seelen, soweit sie sich im Leben offenbaren, unendlich
ungleich. Hätte jeder Mensch in sich nur gleichen Urgehalt des Unbewußten, so wäre individuelle
Unsterblichkeit ein Unding, weil es dann eben keine Individualität gebe. Gerade weil sich aber bei jedem ein Plus nach
oben oder Minus nach unten vom Genie bis zum rohsten Rüpel, von Prospero bis Kaliban herausbildete, ist undenkbar,
daß dies kausal bestimmte Produkt ganz zwecklos entstanden sei, um sogleich wieder der Vernichtung anheimzufallen.
Daher kündigte ein bisher kaum zum Positiven geneigter Gehirnpsychologe, wie Schleich (»das Ich und die
Dämonen«, »Bewußtsein und Unsterblichkeit«), offen an, daß er sich für individuelle
Fortdauer bejahend entschied. Der Arzt R. Tischner, vorher etwas schwankend, behauptet jetzt Unabhängigkeit aller
mediumistischen Zustände von äußern Merkmalen. Es gibt »alle möglichen Spielarten« mit
vielen Übergängen vom Somnambulismus bis zum verhältnismäßigem Wachzustand. Frühere Annahme,
Telepathie sei deutlich oder wenigstens »larviert« (v. Hartmann) somnambulisch, ist falsch. Eine
ungewöhnlich begabte Kartenlegerin, deren Leistung
Weitere Kostenlose Bücher