Der Aufgang Des Abendlandes
verbirgt. Dieser Logiker geht unlogisch von Wunschvoraussetzung aus, daß die
Phänomene sich ohne vernünftigen Seelenbegriff erklären lassen. Denn indem er einerseits das Psychische als
alleinbestehend anerkennt, behandelt er es andererseits als unpersönliches Neutrum. Das Psychische schlechtweg entsteht
»aus dem Nichts« durch sonderbare Materieverrenkung, ohne daß es bestimmte Individualität gibt? Als
Allseele? Auch das nicht, was bleibt nun übrig? Und doch soll Eigenart sich so großen Selbstbewußtseins
unterfangen, Unsichtbares aus Sichtbarem, Transzendentes aus Materieanreizen entspringen! Selbst wenn dies möglich
wäre, lägen die nötigen Bedingungen nur im Weltäther, nur so wäre Hervorbringung des Psycheelements
aus feinstem unsichtbaren Stoffe denkbar und damit das Psychische doch wieder als Allbestandteil erklärt! Kerles Denkart
ist unnatürlich verstiegene Spekulation »aus Nichts«, doch was lehrt Drieschs
»Wirklichkeitslehre«? Alles eher als Wirklichkeit: Ich – Punkt als »zeitunbezogen« mit
»geheimnisvollem« Wissen vom Ich im Ich! Solche Künsteleien machen Kritik leicht. Dies
»Ordnungswissen« sei überempirisch, sind wir wieder bei apriorischen Ideen? Richtig verlangt D.
plötzlich, daß »etwas geglaubt werde« ohne zu wissen, »Gesetzlichkeit überhaupt« sei
ohne »überpersönliche Entelechie« eines Gottschöpfers unmöglich, woraus folgern soll
»universale Teleologie«. Ist das erfahrungslogisches Postulat oder metaphysisches Faktum? D. tut, als handle es
sich um letzteres, doch überpersönliches Gesetz, das wir ihm gern zugeben, bedingt nicht notwendig einen relativ
persönlichen Schöpfer. Auf nur apriorischer Begründbarkeit eine Philosophie des Organischen aufbauen, ist ein
Exzeß deduktiven Schwärmens. Daß mechanische Verhältnisse nicht eines Zentralwesens bedürfen, nur
natürlicher Gravitierung unterworfen, so ähnlich könnte sich Kerle ausdrücken, wenn man nur sein eigenes
unsichtbar Psychisches mit sichtbar Mechanischem zusammenkoppeln dürfte und Gravitationsgesetze im Psychischen
»aus Nichts« denkbar wären. Ähnlich ist falsch unterschieden, daß psychisches Gefühl
»keine Sprünge machen kann«, Bewegung nur der Materie angehört: Psychische Bewegung ist erkennbar als
Sym- und Antipathie (Anziehung und Abstoßug). Obschon, wie wir anmerken, auch Denken nach bestimmter Richtung
gravitiert, können idealistische oder materialistische Ideen gewiß nicht von körperlichen Reibungen bestimmt
werden. Wenn umgekehrt Driesch dem Zufall eine Möglichkeit einräumt, so schlägt er dem für ihn so
wichtigen Zweckbegriff den Kopf ab. Dagegen lauten auch starr-realistische Erklärungen wie des Raumes als
beziehungsloses Nebeneinander von Dingen (Vaihinger) ebenso banal wie unwahrscheinlich, nur in Chateliers Entdeckung,
daß Wärme chemische Umsätze weckt, die wiederum Wärme absorbieren, sehen wir zweckgewollte Verteilung
der Materie. Ob man diesen Zweck- als Gottwillen auffaßt oder als immanentes Gesetz geheimnisvoller Automatismen,
bleibt denkerisch unwichtig, solange nur das Geheimnisvolle zugestanden wird, das sich eben nie mit Mechanik verträgt.
Wundts »Wachstum psychischer Energie« ist sogar empirisch plausibel, geistige Auffassungsgabe wächst vom
Kind zum Mann, ebenso Schaffensfähigkeit künstlerischer Gestaltung. Daß Erhaltung der Energie auf psychischem
Boden nicht gelte und sogar Erinnerungsbilder aus dem Nichts stammen, behauptet Kerle absurd. Letztere stammen aus einem sehr
realen Etwas, nämlich dem Unbewußten, das sie jeweilig ans Licht fördert, und wenn das Hauptgesetz der
Materie, nämlich Erhaltung der Energie, im Psychischen wegfiele, dann wäre es ja in keiner Weise dem Physischen
verwandt als ein in der Luft schwebendes Nichts. Wo bleiben dann die psychischen Werte als einzige Realitäten? Auch
diese, aus Nichts geschaffen, lösen sich in Nichts auf!
Laut Hasserl sei nur »Erlebnis«, »Empfinden« das Gegebene, das scheint uns tautologisches Spiel
mit Worten. Empfinden vermittelt sich uns gleichmäßig physisch und psychisch, wird aber bewußtes Erleben nur
durch Mitdenken, warum also nicht gleich deutlich sagen: Gegeben ist das Psychische schlechtweg, das sich nicht in
Erlebnisfunktionen auflöst, sondern das Erlebnis selber ist. Ein Gesetz des Lebens ist unverkennbar, dazu bedarf es
nicht de Vries' »überpersönliche, Ganzheit schaffende Varianten«, denn die Ganzheit wäre auch ohne
Weitere Kostenlose Bücher