Der Aufgang Des Abendlandes
Ameisen sich anstandslos dem Staat opfern, bei höheren Tieren sich Altruismus ausprägt
(Dankbarkeit, Treue bis zum Tod, selbstlose Mutterliebe), was alles mit bloß geistigen Werten nichts gemein hat;
unmöglich kann man leugnen, daß somit Ethisches ein natürlicher Bestandteil des Lebens scheint, obschon durch
des Menschen krasse Ichsucht verdunkelt. Kerle spottet, daß Monaden nicht schon deshalb, weil sie miteinander etwas zu
tun haben, einen überpersönlichen Werde-Bestimmer haben müßten, doch ein gewisser Ganzheitzug (Lotzes
Beziehungsphilosophie) kann im geschlossenen Erfahrungszusammenhang schwerlich verkannt werden. Die Beziehung der Lebewesen
untereinander führt nicht nur zu äußern Regeln, sondern sittlichen oder unsittlichen Gefühlen, wobei
angeborene Gutheit sowenig wie angeborene Bosheit von sonstigen Wertbeständen abhängt. Gerade Determinismus macht
sporadisch ethische Impulse so bedeutungsvoll. Daß auch heute noch »Denker« sich auf Willensfreiheit
festlegen, stimmt trübe. »Umkehr« soll wie freier Wille aussehen, doch dies Phänomen gehört zum
subliminalen Selbst: Erwachen des Früheren, bisher im Oberbewußsein verhüllt. Laskers Machologie schiebt den
Macheiden ein Apriori des Handelns zu und stellt sie willkürlich als ethisch dar, während doch in der Wirklichkeit
unritterliche Gemeinheit herrscht. Wer mit solcher Fiktion eine Endseele mit gerechter Geschichtsleitung sucht, einen als
ritterlichen Macheiden gedachten Gott, wird ihn mit ungeblendeten Augen nicht finden und die Laskersche
Lebenstüchtigkeit bleibt unbedeutend oberflächlich (mit »tüchtiger Mensch« meint der Berliner
einen Streber). Sein »Unvollendbar« verlegt die Unsterblichkeit auf Fortdauer der Seelentätigkeit in Andern,
ganz unbefriedigend, denn sie kann nur mittelbar und ähnlich, nie gleich in Andern fortdauern.
Leib ohne Seele als bewegungslose Masse ist ebenso denkbar wie Seele ohne Stoff, daher albern einzuwerfen, Seele ohne Leib
sei nie angetroffen, welches Unsichtbare wurde je angetroffen? Laut Schleich ist alles Körperliche Inkarnation von
Gedanken, Münsterberg nennt Körperliches dasjenige, was von allen wahrgenommen wird, Seelisches das nur von einem
Subjekt innerlich Wahrgenommene. Doch besonders begabte Augen und jedenfalls Mikro- und Teleskope können Kleines und
Großes besser wahrnehmen als »alle«, Telepathie kann gleichzeitig fremde Seelenvorgänge wahrnehmen. So
deckt keine Definition dieser verschleierten Differenzierung. Schleichs sonderbare Behauptung, die linke Hirnhälfte
produziere nur auf Physisches gerichtete Schwingungen, die rechte alles Gedankliche, ist eigentlich materialistisch trotz
angehängter Seelenmythologie altmodischer Art, jedenfalls dualistisch. Möglich, daß die Hirnmasse unter
Reibungselektrizität steht, wie Kerle meint, doch diese könnte nur einheitlichen Akt in beiden Hälften
erzeugen. Daß Hysterie bloß durch Einbildung Ausschlag und Geschwülste hervorrufe, ist uns zwar ein Beweis
für Formfähigkeit psychischer Vorstellung, doch weit entfernt von der ausschweifenden Auslegung, Stoffliches lasse
sich aus nichts formen, denn Hysterie entnimmt solche krankhaften Auswüchse doch nur dem eigenen Fleisch. So bequem
macht sich dieser neue naturwissenschaftliche Idealismus seine Argumente. Geißlers »System der
Seinsgebiete« ist gar kein System. Ist das Wahre und Schöne, weil es eine Forderung ist, darum schon Wirklichkeit
einer »Seinsgruppe«? Allerdings vergißt Kerle das Phänomen der Gedankenübertragung, wenn er
Durchdringen der Seelen untereinander auslacht, keinenfalls gibt es aber solches Durchdringen, daß dadurch Einheit der
Psychen herauskäme, in diesem Sinne würden wir antimonistisch denken, da wir Einheit unendlicher Differenzen schon
in der Materie ausschließen, wir denken sie aber transzendental jenseits menschlicher Denkbarkeit, so wie Myriaden
elektrischer Funken im letzten Sinne eins sind, doch gewiß nicht identisch in ihrer verschiedenen Lokalisierung.
Geißler leugnet töricht Einwirkung von Außendingen auf das Hirn, das ist ebenso möglich wie Eindringen
räumlicher Art auf Sinnesorgane, zweifellos können Außenwirkungen die Hirnvorstellungen beeinflussen, nur
darf man Beeinflussung des Hirnapparats nicht mit dem davon unberührten Unsichtbaren verwechseln. Kerle hält
Monismus für unhaltbar und murrt, daß Geisler an Präexistenz glaubt, doch ohne ersichtlichen Gegenbeweis. Wir
unsererseits
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