Der Aufgang Des Abendlandes
auf Unsichtbares verbieten. Wahrheit im Sichtbaren suchen und
daraus trotzdem einen unsichtbaren Endfaktor in blauer Ätherferne ableiten, von dem ziellos magnetische Ströme
ausgehen, ist belächelnswerter Selbstwiderspruch. Denn solange man diesen unsichtbaren Raum- oder Äthergrund nicht
greifbar wahrnimmt, ist ja das alles nur Glaube, unangekränkelt von Wissen, nichts wird damit erreicht, daß man
Uräther als Schoß aller Dinge lehrt, solange man ihn wieder nur als sublimierte Materie auffaßt. Ruckweise
fielen die Schuppen von den Augen, daß auch die Molekularmasse als Geschöpf des Äthers genau wie er jeder
Körperlichkeit nach Menschenbegriff entbehrt. Die Vorstellung, Atome seien »bevorzugte Stellen« im
Äther, ist gottvoll, durch wen bevorzugt? durch den Äther selber, dessen immer gleiche Lichtgeschwindigkeit
nirgendwo auf Widerstand stößt und daher auch nicht durch Hemmungsreibung konkrete Massen bilden könnte?
Welchen Anlaß hätte er zu künstlicher elektrischer Spannung, um dadurch Materie zu erzeugen? Das wäre
sinnlos, da der Äther an sich verdichteter Stellen nicht bedarf. Inwiefern sind sie bevorzugt? Verdichtung eines Gases
ist Benachteiligung seiner schrankenlosen Alldurchsichtigkeit und Alldurchdringung, solche Inseln eines Äthermeers nimmt
man nur an, weil die gewöhnliche Wahrnehmung keine materielle Vollbesetzung des unendlichen Raums erkennt. Jede Stelle
des Äthers mag von Lebensgewalt wimmeln, nur gibt es kein Teleskop für das uns Unsichtbare. Lauter Ausflüchte,
um sich an der Tatsache vorbeizudrücken, daß auch der Äther nur eine für Menschenverstand letzte feinste
Form bedeutet, hinter welcher aber noch viel Feineres verborgen sein mag. Dem Unsichtbaren, das seine Verstofflichung
reihenweise wie Blätter einer Artischocke ausbreitet, vermag man eben nicht auf den Leib zu rücken, bei so subtilen
Wechselbeziehungen würden selbst dem denkbar größten Verstand und sogar jenseits der
Bewußtseinsschwelle viele Einschläge entgehen. Das einzige Wissen von den letzten Dingen kommt nur dem intuitiven
Denken, das sich bescheidet, nicht als Topfgucker der Natur herumriecht, doch die Maske des Sichtbaren durchschaut und von
vornherein dem Unsichtbaren als dem Alleinigen huldigt. Wissenschaft fängt endlich zu begreifen an, daß ihre
Gesetze stets einer Relativität unterliegen, insofern sprach Einstein ein erlösendes Wort, obschon er nur die
Materieträumerei an anderm Webstuhl fortspinnen will. Im Grunde hieb Herbert Spencer in unsere Kerbe, wenn er meinte,
jede Evolution müsse mit Gleichgewicht enden, daher Evolution und Auflösung aufeinanderfolgen. Damit wird aber dem
Begriff Evolution die Spitze abgebrochen, denn was notwendig zu einem Ende kommt, ist kein ständiges Aufwärts,
jedenfalls macht man so Entfaltung zu etwas Relativem, während wir wohl Gleichgewicht, doch keine Auflösung
anerkennen, denn wir sehen durch die Zauberformel des Unsichtbaren klar das einzige Nichtrelative.
Erhitzte Psychen wirken suggestiv, wie heiße Eisenstangen ihr Vibrieren kälteren Metallen mitteilen, doch
»Molekularbewegung« von Hirn zu Hirn verträgt als unsichtbarer Akt kein Umhängen mechanistischer
Mäntelchen, denn Übertragung kann hier nur durch Äthervermittelung im Zwischenraum der Atome geschehen, auch
hypnotische Berührung erfolgt durch unstoffliche Brücke mit elekronischen Faktoren, wir sind selbst mit der Sprache
als Vermittler unsichtbarer Denkbewegung so im Reich des Geheimnisvollen, daß Nordaus »Paradoxe«
Unnötigwerden der Sprache durch unstoffliche Verbreitung von Vorstellungen zulassen. Überall waltet psychisches
Relativitätsgesetz. Nietzsches Ankündigung vor versammeltem Kriegsvolk »Gott ist tot« fälscht, wie
Salmoneus' Nachahmung des Zeusdonners, die Relativität: jedes Erleben hat die Weltregierung, die es verdient. Horneffers
Apotheose zeigt uns nur, daß dieser Seiltänzer, während er vor gaffender Menge den Niagara zu
überschreiten versprach, sich uralte Schwimmgürtel anschnallte. Überwundenwerden im Selbstüberwinden, wie
ist uns denn, klingt das nicht gnostisch? Ewige Veränderung läßt sich nicht dinglich fassen, kein
Entweder-Oder, sondern lauter Oder, Ja und Nein. Hartmanns Kulturethik und Tolstois Kulturekel stehen auf gleichem
Illusionsschlamm. Solche Kurpfuscher fördern nur »Selbstzersetzung moderner Kultur« (Rosener,
»Propheten«). Turgenieffs »Erinnerungen« fühlten sich von Tolstois
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