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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Möglichkeit
persönlicher Fortdauer. Man gewöhnte sich, da moderne Psychologie ins selbe Hörn Buddhas stößt, das
Ich höchstens als Präsidenten einer Zellenrepublik aufzufassen, dessen Wahl durch Zellenauflösung
ungültig wird, jedenfalls hat es als Vizestellvertreter des transzendentalen Ego nur Existenz auf Kündigung. Doch
man kommt an der Tatsache nicht vorbei, daß das anstößige Allzumenschliche der Spirits mit ihrer den
Menschenichen analogen Ungleichheit eher für ihre Richtigkeit spricht. Die Schattenhaftigkeit der Geisterwelt
behält die gleichen Triebmotive mit Unebenheiten und Unstimmigkeiten psychischer Verschiedenheit. Metempsychose der
Pflanzen beobachtet man in ihrer sichtbaren Metamorphose, Transformation zersprengter Körperzellen beeinträchtigt
nicht mal die Unsterblichkeit in materialistischem Sinne, denn ob sie als Grashalm oder Wurm weiterleben, kommt für das
entschlafene Ich auf eins heraus.
    Was ist das für eine Materie, die selber nicht weiß, wohin sie gehört und die ein gelehrtes Phantasma
wird? Sie muß sich über Gaswirbel lustig machen, mit denen man sich den Kopf des Weltalls zerbricht, sie zu messen
ist aussichtsloses Unterfangen, man kann Wärme messen, doch nicht den unsichtbaren Ursprung subjektiven
Wärmebegriffs. Biologie bekennt zwar selber ihr Ignorabimus, warum der Keim sich zum Organismus entfaltet und dieser
sich zweckmäßig behauptet, doch das Problem ist ohnehin falsch gefaßt. Wäre Leben eine Reihe
zufälliger Erscheinungen beliebiger chemisch-physikalischer. Kausalitäten, so könnte allgemeine
Zweckmäßigkeit nirgends stattfinden, man wirft nicht dauernd Treffer, wenn man nicht mit falschen Würfeln
spielt. Mechanismus widerlegt sich selbst, wenn er nicht ehrlich-radikal Leben und Welt für ein Zufallchaos hält.
Deshalb hilft sich der Vitalismus damit, daß er Leben als unphysikalischen Begriff einführt; daß aber
Energetik nur rein Psychisches als Welthebel voraussetzt, wollen Oberflächentänzer nicht einsehen und verdrehen auf
Grund grobkörnigen Materials das Eigenwesen zu Lebemaschinerie. Das umgeht die Frage, was diese Mechanik aufdrehe, Leben
als sein eigener Deus ex machina agiert im Grunde wie Schopenhauers Wille, obwohl supraindividuell. »Kraft ist
Beschleunigung der Masse« bedeutet nur, daß man Beziehungen der Dinge untereinander messen kann, läßt
aber die Frage unbeantwortet, woher die Beziehung stamme, und versinkt in achselzuckende Hilflosigkeit, wenn man solche
Formel beim Worte nimmt und zur Rede stellt. Sobald man es irgendwie naturwissenschaftlich faßt, zerflattert Leben
zwischen den Fingern. Zuletzt wird offen ausgesprochen, Wissenschaft sträube sich gegen etwas so Unnatürliches wie
das Leben, sintemal nur Mechanik natürlich sei! Dies Aufdenkopfstellen unbefangener Naturbetrachttung macht die Biologie
als Lebenslehre verdächtig und anrüchig, indem sie eine Gruppe sichtbarer Erscheinungen von »totem«
Stoff absondert, ohne diesen Unterschied irgendwie erklären zu können. Organisches Leben ist keine organische
Chemie, tatsächlich wissen wir aber von ihm weit mehr als von einem toten Stoff. Wenn ein Gelehrter naiv verlangt,
Metaphysik dürfe nur Analogien zur Materie aufstellen, so liegt umgekehrt der Analogieschluß nahe, daß wir
aus dem wenigstens äußerlich bekannten Leben folgern müssen, der uns psychologisch ganz unbekannte tote Stoff
sei eben nicht tot, sondern lebendig in anderer Art. Eine Luftwelle, ein elektrisches Fluidum sind geradeso
Lebensäußerung wie Atmen, ein Lichtstrahl wie Hellgesicht, ein majestätisches Gewitter wie Entladung genialer
Gedanken, nur die Ebenen dieser Vorgänge sind verschieden.
    Telephonischer Anschluß an die Zentrale der Weltkraftquelle hat die verschiedensten Drähte und bedient sich
ihrer mit ungleicher Geschäftigkeit. Sie sorgt für Sicherungen der elektrischen Maschinerie: versinkt ein Erdteil,
taucht ein anderer auf, erblindet ein Stern, erstrahlt ein anderer, stirbt ein Genie, flugs wird ein anderes materialisiert.
»Denn die Erde zeugt sie wieder wie von je sie sie gezeugt« (Goethes Euphoxienklage). Auch hierin herrscht
transzendentaler Monismus, daß Ibsens Julian umsonst nach einem dritten Reich sucht, sondern nur ein Reich Gottes
»inwendig« ist. Dies ewige Leben, ja auch nur äußeres organisches Leben als Sonderform einer
Zufallsmaterie auslegen ist die unnatürlichste Ausgeburt einer Geisteskrankheit. Jede bloß

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