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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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auch so, handelt danach und sieht die Dinge, wie er fühlt,
denkt, handelt. So irrt einseitig überspannter Spiritualismus ebenso wie Materievergötzung, denn das Sichtbare ist
an und für sich da als Koeffizient menschlicher Vorstellung und kann nur insofern als Schein gelten, als es für
subjektive Wahrnehmung nur ein Sinnbild wird ähnlich wie Götterbilder. Wer eine Zeusstatue anbetete, meinte ja
nicht, dies sei Zeus selber, sondern glaubte nur vermöge des Sinnbilds die Nähe des Gottes zu spüren. Die
Griechen dachten vielleicht weise, wenn sie für die Menschen nur den Olymp der Naturgewalten brauchten, darüber
aber den unbekannten Gott der Notwendigkeit hängen ließen, der logisch Parzen und Erynnien entsendet Alles
Geschehen ist die Ethik selber, so wenig Vernunft und Wirklichkeit nach Menschenbegriff sich decken.
    Pan flötet wie der Rattenfänger von Hameln, der Mensch scheint äußerlich dualistisch wie die
Zentauren, doch die Natur ist monistisch beseelt, jede Woge eine Nymphe, jeder Baum eine Dryade. In indischen
Walddörfern, wo Hellgesicht so wohlfeil wie Brombeeren (vgl. ruhige Aufzeichnung eines englischen Forstmeisters), sieht
man einen Spirit in jedem Baum. Nicht als ob wir an Baum- oder Windgeister wörtlich glauben sollen, wohl aber an das
Grundprinzip, daß die Psyche in Verbindung mit allem Unsichtbaren steht. Wer über indischen Okkultismus die Nase
rümpft, der lese den Bericht eines kühlen Briten über den »Tigerzauber«, wie ein kleiner
fröhlicher Greis mit einem Glöckchen alle Tiger in weitem Dschungelumkreis psychisch morphinisiert, so daß
man sie gefahrlos abschießt. Danach erscheint das Erlebnis der Blavatzky, wie ein Chela durch Aussprechen eines Wortes
einen springenden Tiger tötet, nicht mehr so ungeheuerlich. Wirklichkeit hat Sinn und Würde nur, wenn man sie als
gegenseitige Ausgleichung von Stoff und Kraft würdigt. Wenn Materialismus einen Pseudomonismus als Grundpfeüer
trägt, so darf Idealismus in viel höherem Sinn monistisch denken. Alles greifbare Sichtbarwerden des ewig
Verborgenen und ewig Offenbarten verlockt dazu, die aus irdischem Verhältnis von Subjekt und Objekt entspringenden
Zwangsvorstellungen für selbständige Erscheinungen zu halten, doch jede Glasscherbe, jeder Wassertropfen spiegelt
die gleiche Sonne. Jedes Phantasiebüd lebt als anschauliche Spiegelung, »ich weiß, sie sind unsterblich,
denn sie sind«, rühmt Goethe von seinen Frauengestalten, jede Vorstellung ist Schöpfung, jeder Gedanke
wirkliche Tat.
    Hegels Dekret: »Was wirklich, ist vernünftig, was vernünftig, wirklich«, klingt als Gemeinplatz sehr
unvernünftig. Beide Menschenbegriffe könnten nur Attribute einer höheren Einheit sein, nämlich des
Notwendigen, das allein Wirklichkeit und Vernunft für sich beanspruchen darf, ohne diesen Sein-Sinn könnten all die
Scheinattribute, die er in sich schließt, gar nicht bestehen. Hegels Satz müßte lauten: »Was
vernünftig scheint, ist notwendig, was notwendig ist, scheint vernünftig.« Doch auch damit kann man nicht
zurecht kommen, der Syllogismus ist falsch, denn während Vernünftiges notwendig sein muß, braucht Notwendiges
nicht vernünftig nach Menschenmaßstab zu sein. Was ein Herr namens Hegel als vernünftig anspricht, deckt sich
schwerlich mit dem Ungeheuer Notwendigkeit. Der Hinkefuß seiner Lehre lugte bald hervor, indem er das Konservative
damit schirmte, weil das Bestehende allein vernünftig sei. Natürlich haben Revolutionsgreuel das gleiche
Wirklichkeitsrecht: weil sie entstehen, sind sie notwendig. Und deshalb vernünftig? Keiner Phänomenologie kommt
volle Wirklichkeit zu, Notwendigkeit ist geradeso transzendental wie Freiheit, steht daher nicht in Beziehung zu unserer
Erfahrung sichtbarer Materie. Der Raubmörderfrieden von Versailles war sehr wirklich, obendrein kausal bedingt durch
notwendige Bosheit und Dummheit der Urheber, doch Keynes plauderte das Geheimnis von jedermann aus, daß dies
höchst unvernünftig sei. Empirisch darf man nicht mit der Zuversicht schmeicheln: Was Gott tut, das ist wohlgetan.
Menschenurteil soll sich größerer Zurückhaltung befleißigen. So sah Hegel den Napoleon als wirklich
werdende Weltvernunft, aber was war vernünftig-notwendig, sein Aufstrahlen oder Verlöschen? Eins oder das andere
beurteilte Parteistandpunkt als vernünftig, der Parteilose wird sogar das gepriesene »Waterloo« als
unvernünftigste Begebenheit auffassen,

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