Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)
Affen, im Kampf gern aufrichten und dass die kämpferische Aufrichtung seit langem ein Teil der militärischen Ausbildung ist. Ein eindrückliches Beispiel dafür liefert das Reglement vor die Königl. Preußische Infanterie von 1726, wo es heißt: «Das erste im Exerciren muß seyn, einen Kerl zu dressiren, und ihm das air von einem Soldaten beyzubringen, dass der Bauer herauskommt, wozu gehöret, dass einem Kerl gelernet wird: Wie er den Kopf halten solle, nemlich selbigen nicht hangen lasse, die Augen nicht niederschlage, sonder unterm Gewehr mit geradem Kopf über die rechte Schulter nach der rechten Hand sehe, und sonder Gewehr dem Officier in die Augen. Daß ein Kerl steiff auf den Füssen, und nicht mit gebogenen Knien, auch Fuß gegen Fuß, ohngefehr eine Spanne lang von einander stehe. Daß ein Kerl den Leib gerade in die Höhe halte, nicht hinterwerts überhänge und den Bauch voraus strecke, sondern die Brust woll vorbringe, und den Rücken einziehe. Wann ein Kerl nicht allezeit so im Gewehr stehet, muß er corrigiret, und es ihm besser gelernet werden.» [21]
(3) Weniger martialisch sind die Normen des guten Benehmens, die seit jeher ein mehr oder weniger differenziertes Regelwerk für das richtige Stehen und Gehen einschließen. So gibt ein 1955 erstmals erschienenes und bis 1969 immerhin mehr als eine Million Mal gedrucktes Benimm-Buch folgende Anweisungen zur richtigen Haltung des Körpers:
«den Kopf erhoben und hoch tragen, auch wenn er gerade von schweren Gedanken bedrückt ist – die äußere gute Haltung ist der erste Schritt zur Überwindung des Kummers;
die Schultern leicht, nicht krampfhaft zurücknehmen, also nicht wie ein preußischer Ladestock einhergehen – etwas Gymnastik und richtige Atemtechnik wirken hier Wunder, die Schrittlänge möglichst den Körpermaßen anpassen – wer groß ist, sollte nicht trippeln, zu einem kleinen Menschen passen keine Siebenmeilenschritte;
die Füße nur leicht nach außen gedreht, nicht nach innen und nicht zu weit nach außen elastisch zuerst die Ferse aufsetzen – die Meinung ‹je lauter, desto dekorativer› ist ein Irrtum;
die Knie beim Gehen durchdrücken.» (Oheim: 38)
Nach der Überzeugung der Autorin haben Damen besonders penibel auf ihre Haltung zu achten, denn schon einige Seiten vorher heißt es, eindrücklich illustriert durch drei Fotos: «Das Erscheinungsbild einer Dame wird ganz wesentlich von ihrer guten Haltung bestimmt. Sitzen, Gehen, Treppensteigen müssen geübt werden, bis man es ohne Verkrampfung korrekt beherrscht.»
(4) Am effektivsten sind solche Vorschriften natürlich dann, wenn man sie bereits den Kindern einpflanzen kann. In der pädagogischen Literatur ist die Erziehung zur richtigen Körperhaltung daher immer wieder thematisiert worden. Dies beginnt beim allerersten Erlernen der typisch menschlichen Fortbewegungsweise, hört mit ihr aber keineswegs auf. Denn aufrecht gehen und stehen kann man, wie sich zeigte, auf verschiedene Art und Weise und verschieden gut. Aus der frühen Neuzeit sind Traktate bekannt, die den Eltern und Erziehern sagen, worauf sie bei ihren Kindern und Zöglingen zu achten haben. [22] Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden dem sechzehnjährigen Arthur Schopenhauer folgende briefliche Ermahnungen seines Vaters zuteil: «Da Du nunmehro mir schriftlich die Angelobung machest, schön und flüßig schreiben und perfect rechnen zu lernen, so will ich dann mir auch darauf verlaßen, mit Bitte es ebenfals dahin zu bringen, wi andere Menschen aufrecht zu gehen, damit Du keinen runden Rükken bekommst, welches abscheulich aussieht. Die schöne Stellung am Schreibepulte wie im gemeinen Leben ist gleich nöthig; denn wenn man in den Speise-Sählen einen so darnieder gebükten gewahr wird, nimt man ihn für einen verkleideten Schuster oder Schneider.» (Brief vom 23.10.1804) Dem besorgten und orthogra phisch eigenwilligen Vater ist die Haltung seines Sohnes auch ein gewisses finanzielles Engagement wert, denn: «Solltest Du auf der Reitschule, guten Unterricht oder durch einen guten Korporal durch’s Exerciren den besseren Maintient des Körpers gewinnen können, so will ich auch dazu die Kosten gerne hingeben …» Auch in der Privaterziehung werden der militärischen Manneszucht wohltätige Folgen für die Haltung zugetraut. Das 19. Jahrhundert war überhaupt eine Blütezeit pädagogischer Körperzucht, wofür der nicht ganz unbekannt gebliebene Dr. med. Daniel Gottlob Moritz Schreber ein eindrucksvolles
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