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Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Titel: Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Bayertz
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seinen Füßen auf dem Boden der materiellen und kontingenten Erde steht, seinen Kopf und seine Augen aber der notwendigen Ordnung am Himmel zugewandt hat und aus dieser Betrachtung den ‹Sinn› seines Lebens schöpft.
    Entscheidend ist nun, dass dieses Bild von Aristoteles nicht metaphorisch gemeint war. Die aufrechte Körperhaltung ist für ihn kein arbiträres Zeichen für die ethische Ausrichtung des Menschen nach oben, sondern eine Art natürliches Zeichen. Da die Natur «wie ein verständiger Mensch» handelt und die Dinge zweckmäßig ordnet, hat sie die körperliche Struktur des Menschen so eingerichtet, damit sie auf seine ethische Bestimmung verweist. Zwischen dem Körper und der ethischen Bestimmung besteht eine Art ‹Realanalogie›: Ein Verweiszusammenhang, der in der Sache selbst wurzelt. Diese Sache ist der Kosmos. Für Aristoteles besteht der Kosmos aus drei konzentrisch angeordneten Sphären. Den Mittelpunkt bildet die Erde mitsamt der sie umgebenden sublunaren Welt, in der wir es mit vergänglichen Substanzen zu tun haben, die der Veränderung und dem Verfall ausgesetzt sind. Mit dem Mond beginnt ein zweiter Bereich wahrnehmbarer, aber ewiger und unveränderlicher Substanzen, die vollkommene Kreisbewegungen um die Erde ausführen. Jenseits dieser Planeten und Fixsterne, also außerhalb der materiellen und wahrnehmbaren Welt, befindet sich eine unsichtbare, unveränderliche Substanz, die Aristoteles als «unbewegten Beweger» charakterisiert: als das letzte, göttliche Prinzip aller Bewegungen des sublunaren wie des supralunaren Bereiches. Damit entsteht ein hierarchischer Aufbau, der wiederum eng mit einem Wertungsgradienten verknüpft ist. Denn ‹unten› ist ja die von veränderlichen und vergänglichen Substanzen bevölkerte sublunare Welt; ‹oben› hingegen die unveränderliche Welt der göttlichen Himmelskörper; und am höchsten die immaterielle Sphäre des göttlichen unbewegten Bewegers, der nicht einmal mehr Bewegungen kennt, sondern nur noch denkt. Dass der Himmel von jeher als der Sitz der Götter galt, wie Aristoteles ( Met.  XII,8 1074b1–14; Cael. II, 1 284a12–13) mehrfach bemerkt, bekräftigt dieses Wertgefälle von oben nach unten; denn die Götter haben ihren Wohnsitz natürlich an den besten Orten. Das heißt: Oben ist nicht deshalb besser, weil dort die Götter wohnen; sondern die Götter wohnen dort, weil oben besser ist als unten. Und das wiederum heißt: Es gibt qualitative und evaluative Differenzen zwischen den verschiedenen Orten und Richtungen im Raum. [18] – Eine solche Konzeption vom Raum als einem anisotropen und inhomogenen Gebilde hatte sich schon im vorangegangenen Kapitel bei der Darstellung des platonischen Kosmos angedeutet. Im Unterschied zur modernen ‹Natur› ist der Welt-Raum in kosmologischen Theorien kein neutraler Behälter, sondern ein in sich vertikal und hierarchisch differenziertes Gefüge. Ein Ort oben ist daher nicht nur relational verschieden von einem Ort unten, sondern substantiell anders und besser. Dasselbe gilt für die Bewegungsrichtung ‹nach oben›. Deutlich geworden war auch, dass in Platons Kosmos der Vertikalen ein privilegierter Rang gegenüber den anderen Raumdimensionen (vorn-hinten, links-rechts) zukommt; der Kosmos ist seinem inneren Wesen nach vertikal aufgebaut. Der vertikalen Dimension ist eine Richtung auf das Vollkommene, auf das Göttliche und auf das Denken eigen, so dass jede Bewegung von ‹unten› nach ‹oben› mit einem Zuwachs an Vollkommenheit verbunden ist.
    Aus diesen Annahmen über die Struktur des Kosmos ergeben sich die beiden bereits angesprochenen Thesen über den Raum. Erstens konstituiert der Kosmos ein absolutes räumliches Bezugssystem für alle Wesen, die in ihm existieren. Die privilegierte Stellung des Menschen im Kosmos spiegelt sich in seiner ihm entsprechenden Struktur. Zwischen dem menschlichen Körper und dem Kosmos besteht ein räumliches Entsprechungsverhältnis. Hören wir Aristoteles selbst: «Den größten Unterschied hat der Mensch gegenüber den anderen Tieren hinsichtlich der natürlichen Richtungen des Oben und Unten, da sein Oben und Unten mit dem des Weltalls übereinstimmt. Ebenso natürlich liegt bei ihm vorn und hinten, rechts und links. Von den andern Geschöpfen haben die einen diese Richtungen überhaupt nicht an sich, die andern viel verworrener. Der Kopf sitzt bei allen oben im Vergleich zum eigenen Körper, aber nur beim Menschen ist, wie gesagt, wenn er

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