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Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Titel: Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Bayertz
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die man zu überwinden suchte. Zugleich aber war der Rückgriff unvermeidbar, wenn man sich von dieser Welt nicht isolieren, sondern in ihr Anerkennung finden und Einfluss gewinnen wollte. Die kosmologischen Theorien des Platonismus und der Stoa boten sich dafür natürlich eher an als der Skeptizismus oder der epikureische Materialismus mit seiner unerbittlichen Religionskritik. Mit Hilfe dieser Theorien ließ sich philosophisch bestätigen, was die Bibel sagt: dass die Welt gut ist. Diese Bestätigung war in der Auseinandersetzung mit der schärfsten zeitgenössischen religiösen Konkurrenz hochwillkommen: der Gnosis, aus deren Sicht die Welt ein katastrophaler Fehlschlag war. Für die Gnosis war die Welt nicht von dem allmächtigen und allgütigen Gott geschaffen worden, sondern von einem entweder stümperhaften oder böswilligen Demiurgen. Das war eine düstere Anti-Kosmologie, von der das frühe Christentum nicht ganz unbeeinflusst blieb, deren zwei grundlegende Voraussetzungen es aber nicht akzeptieren konnte: die Idee eines Antagonismus zweier Götter, deren einer für das Gute in der Welt stand, während der andere für das Schlechte in ihr zuständig war; und die These, dass die Schöpfung der Welt ein absoluter Fehlschlag sei. Es lag für die frühen Theoretiker des Christentums nahe, die kosmologischen Lehren der antiken Philosophie als Verbündete gegen diesen gnostischen Negativismus in Anspruch zu nehmen, insbesondere den platonischen Timaios, in dem überdies mehrfach von einem «Vater» der Schöpfung die Rede ist, den man leicht als den jüdisch-christlichen Gott interpretieren konnte. Die Amalgamierung von biblischen und kosmologischen Denkelementen erschien als so selbstverständlich, dass sich Pico della Mirandola, als er am Ende des 15. Jahrhunderts die Erschaffung der Welt skizzierte, noch auf «Moses und Timaios» als eine Art von Autorenkollektiv berufen konnte. (1496: 5) Die aus antiker Philosophie und biblischem Mythos zusammengesetzte christliche Kosmo-Anthropologie blieb also über mehr als ein Jahrtausend hinweg dominierend.
    Gleichwohl war diese Verbindung weder natur- noch gottgegeben. Sie war das Produkt eines langwierigen und mühsamen Prozesses theoretischer Konstruktion, der einen beachtlichen Aufwand interpretatorischer Phantasie erforderte und nicht ohne Adjustierungen auf beiden Seiten abging. Es liegt auf der Hand, dass die christlichen Theoretiker keine Verwendung für die philosophische Tradition in ihrer Gesamtheit hatten, sondern lediglich einzelne ihrer Elemente aufzugreifen bereit waren. Ähnliches galt hinsichtlich der biblischen Texte, die selektiv aufgegriffen und großzügig interpretiert wurden. [1] Unter diesen Bedingungen gelang zwar eine Verbindung zwischen beiden; es blieben aber subkutane Spannungen zwischen den fremden Elementen, die zunächst noch in Grenzen gehalten werden konnten, im Spätmittelalter dann aber als Widersprüche offen zutage traten. Den entscheidenden Unterschied zwischen Athen und Jerusalem macht natürlich Gott. Genauer: die Idee eines souveränen und transzendenten Gottes, der den Kosmos geschaffen hat, aber nicht dessen Teil ist. Der Kosmos ist nun nicht mehr das Höchste und Beste; er sinkt zu einem Produkt Gottes, zur bloßen ‹Welt› herab. Mit dieser Abwertung war der philosophischen Kosmologie die Grundidee genommen und das ganze auf ihr fußende Gebäude unterminiert. – Das konnte nicht ohne anthropologische Implikationen bleiben. Im biblisch inspirierten Denken behält der Mensch zwar seine Spitzenposition in der Welt; mit der Abwertung der Welt verliert diese aber auch an Attraktivität. Entscheidend ist jetzt nicht mehr die Beziehung des Menschen zum Kosmos, sondern seine Beziehung zu Gott. Die Welt erscheint nun als etwas, das im besten Fall sekundär für den Menschen ist, ihn im schlimmeren (aber wahrscheinlicheren) Fall von Gott ablenkt und abhält. Schon bei Platon musste die Welt überwunden werden, damit der Mensch zum Göttlichen (zurück)finden kann; die christliche Lehre spitzt diese Tendenz zu. Für sie ist der Mensch fremd in der Welt. In diesem Punkt steht das Christentum der ansonsten so scharf bekämpften Gnosis näher als den kosmologischen Theorien der Antike. Einen weiteren, womöglich noch gravierenderen Differenzpunkt bildet die Lehre vom Sündenfall. In ihrem Licht stellt sich die menschliche Natur als beschädigt, in der augustinischen Verschärfung sogar als bis ins Mark verdorben dar. Der

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