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Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Titel: Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Bayertz
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philosophischen Idee einer Selbsterlösung des Menschen aus eigener Kraft war damit der Boden entzogen. Auch das Denkmotiv vom aufrechten Gang bleibt von dieser Wendung des anthropologischen Denkens nicht unberührt.
    Langfristig wird sich die Bibel als ein für das kosmologische Denken unfruchtbarer Boden erweisen. Obwohl man von jüdischer wie christlicher Seite einen engen Anschluss an die antike Philosophie suchte und ihre metaphysische Ordnungsidee in ein biblisch fundiertes Bild der Welt einzubauen suchte, sind die Resultate dieser synkretistischen Bemühungen eher als ‹parakosmologisch› zu bezeichnen. Die christliche Abart des kosmologischen Weltbildes weist eine Reihe deutlicher Differenzen zu seinem klassischen antiken Urbild auf, die in der spätantiken philosophischen Kritik am Christentum zum Teil schon benannt wurden, zunächst aber noch überspielt werden konnten.

7. Biblische Marginalisierung
Stell dich auf deine Füße, Menschensohn; ich will mit dir reden. Als er das zu mir sagte, kam der Geist in mich und stellte mich auf die Füße.
Ezechiel 2,1–2
    Wer die Krone der Schöpfung ist, kann nach der Genesis keinem Zweifel unterliegen. Während Gott alle anderen Schöpfungsakte durch puren Befehl vollbracht hatte, fasste er beim letzten einen ausdrücklichen Entschluss und legte seine Pläne offen. «Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn.» (Gen 1,26–7) Damit ist die Schöpfung abgeschlossen und Gott ruht. Überraschenderweise schließt sich nun ein zweiter, vollkommen anderer Bericht über die Erschaffung des Menschen an. Zum einen begegnen wir hier einem Handwerkergott, der nicht nur kommandiert, sondern selbst Hand anlegt, indem er aus Erde zunächst Adam, dann die Tiere des Feldes und die Vögel formt, dann Eva aus Adams Rippe explantiert. Zum anderen spielen in diesem zweiten Bericht kosmische Bezüge keine Rolle. Nur die unmittelbare Umgebung des Menschen wird näher charakterisiert: der Garten mit seinen Bäumen und Flüssen. In der alttestamentlichen Forschung wird die erste Darstellung als Teil der «Priesterschrift» bezeichnet, die zweite als der «jahwistische» Bericht; beide werden unterschiedlichen Entstehungskontexten und -zeiten zugeordnet. Auf die vielschichtigen und verschlungenen Deutungsprobleme, die sich aus diesen konkurrierenden Erzählungen ergeben, kann hier nicht eingegangen werden. [2] Für uns ist nur von Bedeutung, was darin zum aufrechten Gang gesagt wird. Nämlich nichts! Ob die ersten Menschen zweifüßig waren und aufrecht standen, erfahren wir weder aus der Priesterschrift noch aus dem jahwistischen Bericht. Wie ist dieses Schweigen zu deuten? –Eine Antwort auf diese Frage wird davon ausgehen müssen, dass wir es bei der Bibel nicht mit einer anthropologischen Abhandlung zu tun haben; [3] sondern mit einer Zusammenstellung separat entstandener Texte religiöser Natur, in denen es vor allem um die Beziehung des Menschen zu Gott geht. Auch in der Genesis spielen anthropologische (und übrigens auch allgemein-kosmologische) Fragen nur eine Nebenrolle. Der Schöpfungsbericht behandelt die Vorgeschichte dessen, worum es ‹eigentlich› geht: um die Heilsgeschichte des Volkes Israel. Die körperliche Existenz des Menschen und sein Leben in dieser Welt sind nicht das zentrale Thema der Bibel, sondern lediglich eine Randbedingung dessen, worauf es eigentlich ankommt.
    Sofern die aufrechte Haltung in den folgenden Teilen erwähnt wird, geschieht dies nicht zu anthropologischen Zwecken. Angeführt wird sie vielmehr als ein äußeres Zeichen für die innere Einstellung der betreffenden Individuen oder Gruppen, insbesondere als äußeres Zeichen für ihre Einstellung zu Gott. So brandmarkt der Prophet Jesaja die demonstrativ aufrechte Körperhaltung der Frauen von Jerusalem als Ausdruck von Stolz, Eitelkeit und Arroganz und droht ihnen deswegen demütigende Strafen an: «Weil die Töchter Zions hochmütig sind, ihre Hälse recken und mit verführerischen Blicken daherkommen, immerzu trippelnd daherstolzieren und mit ihren Fußspangen klirren, darum wird der Herr den Scheitel der Töchter Zions mit Schorf bedecken und ihre Schläfen kahl werden lassen.» ( Jes 3,16–17) Wenn das Recken der Hälse und

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