Der aufrechte Soldat
mir einen Boxhieb auf den Oberarm und meinte: »Der Corporal will nicht verraten, was es mit diesen schwarzen Bibis auf sich hat. Vielleicht kennt er sie so gut wie gar nicht.«
»Sie verpassen dir einen anständigen Tripper, Kumpel, das tun sie, wenn du mit ihnen herummachst, wovor der Kommandant euch gewarnt hat«, sagte der Corporal und wies mit dem Zigarettenstummel auf uns, um das Schreckliche an seiner Prophezeiung hervorzuheben. »Ihr solltet wirklich die Finger von den Bibis lassen, wenn ihr nicht wollt, daß euch einiges abfällt.«
»Was sollen wir denn tun? Sie können doch nicht alle krank sein, oder?«
»Haltet euch lieber von ihnen fern! Bleibt bei eurer al ten fünffingrigen Witwe! Beschäftigt eure Witwe mit den fünf Fingern, und es wird euch nichts passieren.« Er legte zur Unterstreichung seiner Worte klatschend eine Hose auf die Theke. »Und nun, wer ist der nächste? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
Wally und ich stolperten in den blendend hellen Sonnenschein, schleppten unsere Ausrüstung und wußten auf Grund der soeben vorgetragenen strengen Philosophie des Corporate nichts weiter zu sagen. Wir stellten schon bald fest, daß dies die vorherrschende Philosophie in Kanchapur war; kaum überraschend, denn sie war lediglich eine Variante, wenn auch eine stark verzerrte, und gewiß keine Trennung oder Abkehr von der Philosophie, die zu Hause von Gewicht war. Auch dort versuchte der Ältere stets dem Jüngeren die Idee zu vermitteln, daß der Kontakt mit Frauen in einer Katastrophe endet, wobei meine Mutter das lebende Beispiel war. Sogar die Empfehlung des Ortskommandanten, uns moralisch rein zu erhalten, erschien mir weniger unangenehm als der des Corporate zur fünffingrigen Witwe.
Das Schlimme war nur, daß diese Philosophie sich durchsetzte. Die Witwe mit den fünf Fingern war meine einzige ständige Begleiterin. Es verging kein Tag, an dem nicht eine Hochzeit mit ihr gefeiert wurde.
Sogar auf der »Ironsides« war es so gewesen. Aber auf dem Schiff hatte es mehr Mühe gekostet und länger gedauert, um zum Ziel zu gelangen. Auf dem Schiff war Bromid in den Tee getan worden. So wurde es gerüchteweise erzählt, und so glaubte ich es. Irgendeinen Grund mußte es ja geben für den säuerlichen Geschmack des Tees. Das Bromid dämpfte unsere Begierde – man mußte sich richtig abmühen, um einen Ständer zu bekommen, während er früher völlig natürlich hochgesprungen war. Nun waren wir an Land und bekamen wieder unseren unpräparierten Tee, und alle Gelüste konnten sich wieder frei entfalten.
In Kanchapur weckte eigentlich alles unsere Gelüste und stachelte sie an. Die verrücktesten Regungen wurden vom Klima verursacht, der Tageshitze, der Wärme der Nächte, dem Schmeicheln der linden Lüfte, der Energie, die in allem steckte, was wir anfaßten, waren es nun Stei ne oder Bäume. Das Geheimnisvolle all dessen, was wir in jenen ersten Wochen in Indien zu sehen bekamen, war ebenfalls ein Aphrodisiakum: das rätselhafte Wesen der umherwimmelnden Menschen der Zentralprovinzen, das Gefühl, den Ursprüngen des Lebens näher zu sein als jemals zuvor – Geburt, Tod, Vaterschaft –, und der Reiz der Bibis auf den Basaren, wo glatte, junge, lächelnde Gesichter, glänzendes rabenschwarzes Haar und makellose, blitzende Zähne den Schmutz Lügen straften, der in den Magazinen des Quartiermeisters geredet wurde.
Im Lauf der Zeit verflüchtigte sich der ursprüngliche Eindruck, daß Indien jegliches Verständnis überstieg. Man konnte das Land verstehen – allerdings nur nach seinen eigenen Regeln. Man mußte sich ihnen beugen, genauso wie man sich dem Sex ergeben mußte.
Die Latrine in der Kaserne wurde von einer Gruppe Unberührbarer gesäubert und geleert, die sich bei ihrer Arbeit tief bückten und ihre Stirnen berührten, wenn man hereinkam. Dort drinnen, hinter den stallähnlichen Türen des einen oder anderen Abteils, hatte ich mein regelmä ßiges abendliches Rendezvous mit meiner ziemlich trockenen Witwe.
Gerüchte besagten, daß die Unberührbaren einem eine Bibi besorgten, wenn man sie danach fragte. Man brauch te nur zu sagen: »Bibi hai?«, und schon bekam man das Gewünschte. Aber die enge Verbindung mit Krankheit war hier so deutlich, daß ich niemals die Frage zu stellen wag te. Statt dessen erging ich mich in Phantasien. Allein die Vorstellung vom Lüften eines Saris, vom Forschen in seinen dunklen, verbotenen Gefilden – während diese strahlendweißen Zähne sich in
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