Der aufrechte Soldat
anderen Einheit, einem ungeschlachten Kerl namens Chambers mit der Tätowierung einer riesigen Distel auf der Brust.
Ich sagte zu Tertis: »Hast du Lust, heute abend auszugehen, Jackie?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich mache beim Kartenspiel mit und sehe zu, daß ich frühzeitig in die Falle komme.«
»Du solltest lieber nicht mit diesen abgebrühten Schotten spielen, sonst holen sie dir auch noch den letzten Anna aus der Tasche und machen dich vollständig pleite!«
»Ach, geht’s schon wieder in die Puffs, Mann?« brüll te McGuffie. »Dort wurdest du geboren, und dort wirst du nochmal sterben.«
Kalkutta war einfach zu groß. Allein wollte ich mich nicht ins Zentrum wagen. Nach einer Weile erklärte Feather sich bereit, mich zu begleiten. Wir machten uns richtig landfein, zogen frische Hemden an und spazierten aus dem Lager hinaus – und zu diesem Zeitpunkt waren unsere Hemden bereits völlig durchgeschwitzt. Es war heiß. Mein rechtes Bein und meine Hand schmerzten heftig.
Der Wachtposten am Tor erklärte uns den Weg ins Zentrum, und wir machten uns erwartungsvoll auf die Socken. Überall waren Kinder zu sehen. In jedem der blind endenden Bogen unter der Eisenbahnbrücke hausten ganze Familien. Zwischen auf Dauer errichteten Gebäuden waren vorübergehend Hütten aufgestellt worden. Jedes Haus schien vor Bewohnern aus den Nähten zu platzen. In den Straßen wimmelte es von Bettlern, die in den Gossen herumschlurften oder auf dem Erdboden hockten, den Rücken an eine Mauer gelehnt.
In einem solchen Sumpf hatte sogar Scheiße ihren Wert. Frauen sammelten Tiermist, formten ihn zu ordentlichen runden Fladen und klebten diese an Wände, damit sie trockneten. Wenn die Fladen von der Sonne trocken gebacken waren, fielen sie herunter. Sie wurden in Flechtkörben gesammelt, die Körbe kamen auf die Köpfe der Frauen, und die Frauen zogen los, um ihre Ware zu verkaufen. Und die meisten dieser Menschen hatten heitere Gesichter.
Überall wurde eifrig gefeilscht. Als Feather und ich uns dem Stadtzentrum näherten, schien die Hektik ringsum noch zuzunehmen. Die Menschen erschienen wohlhabender. Die Gebäude machten einen etwas besseren Eindruck, ihre gußeisernen Balkone wirkten nicht mehr so brüchig, doch alle schienen mit noch mehr Menschen vollgestopft zu sein, die sich auf den Baikonen aufhalten mußten, da die Zimmer dahinter von stickiger Hitze und Kindern erfüllt waren – das Ganze hatte starke Ähnlichkeit mit einer Schubladenkommode, die derart mit Kleidern vollgestopft war, daß einzelne Schubladen einfach offenstanden und überquollen.
All dies gewahrten wir in jener schmeichelnden indischen Dämmerung, die von zahllosen Laternen und den ratternden Straßenbahnen erhellt wurde, die unter ihren durchhängenden Oberleitungen dahinkrochen und an jeder Kreuzung einen Regen grüner Funken herabrieseln ließen.
Ein schmarotzerhaftes Auftreten kennzeichnete den gesamten Handel, die gesamte Wirtschaft der Stadt. Jeder, der etwas zu verkaufen hatte, von einem Armreif bis zu seiner leibhaftigen Schwester, verfolgte seine potentiellen Kunden etwa einen halben Kilometer weit und bettelte und feilschte den ganzen Weg. Viele Läden und die meisten Restaurants beschäftigten ihre eigenen Blutegel, die aufgrund ihres Atems ausgewählt worden waren, der stinkend genug war, so daß man schnellstens zwischen wohlfeilen Teppichstapeln oder in Reisküchen Zuflucht suchte. Diese Blutegel waren eine Plage. Es war nutzlos, mit seinem Verhalten auszudrücken, daß man wirklich keinen Teppich kaufen wolle; der lästige Vogel wußte ganz genau, daß man es am Ende doch tat, und bearbeitete einen die ganze Chowringhee Street entlang!
Huren waren in der ganzen Stadt anzutreffen. Sie blieben in ihren stinkenden kleinen Zellen, während ihre Zuhälter hinausgingen und auf den Gehwegen Kunden suchten; das unterschied sich grundlegend von den Gepflogenheiten in den anderen hurenreichen Städten des Ostens, Singapur, Hongkong und Macao, wo man sieht, was man bekommt. Die indische Hure jedoch bleibt in ihrem Bett und erwartet dich.
Dieses Eingesperrtsein verlieh der Hure das Brandmal des Minderwertigen. Man betrachtete sie unwillkürlich als nichts anderes denn als eine Handelsware, etwas Käufliches, ein Loch mit Fleisch darum, dessen Preis sich nicht nach Gewicht, sondern nach Alter berechnete, wobei die Höchstpreise bei sechzehn Jahren lagen; nach zwanzig sanken sie stetig. Und nicht nur die Preise sanken, auch die Räume wurden
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