Der aufrechte Soldat
daß sie auf einem Fünfzehntonner schon früh am Morgen weggebracht worden waren. Ein Sergeant, den ich bedrängte, gab mir schließlich eine Liste mit drei oder vier anderen Transitlagern im Gebiet von Kalkutta; aber zu dieser Zeit herrschte in der Stadt ein ständiges Kommen und Gehen von Truppeneinheiten, weshalb zusätzliche Lagerplätze geschaffen wurden, und in dem ganzen Durcheinander schien niemand so richtig zu wissen, was überhaupt los war.
Abends erwachte die unwiderstehliche Versuchung in Gestalt der Freudenhäuser. Tagsüber spazierte ich durch die Stadt, die bis zum Überlaufen mit Menschen gefüllt war, ging zum kitschigen Jain-Tempel, betrachtete die Lastwagen, die von den Sikhs gelenkten Taxis und die Ochsenkarren, die über die Howrah-Brücke polterten, machte einen Abstecher zu den Docks und fuhr mit einem Boot den Hooghly hinunter zum Botanischen Garten, wo ich mich unter dem größten Banyanbaum der Welt ausruhte.
Es war eine aufregende Erfahrung, wieder einmal allein zu sein, getrennt von allen anderen Menschen. Gegen Ende der Woche, als mein Arm nicht mehr von der Schlinge gehalten werden mußte, fing ich ein wenig zu zeichnen an und schämte mich fast dieser Demonstration meines künstlerischen Temperaments.
Als ich eines Mittags wieder ins Lager zurückkam – trotz Harrisons Zahlungen war ich schon wieder pleite –, rief mich der Sergeant zu sich. »Für dich ist eine Nachricht über den Draht gekommen, kaum daß du heute morgen das Lager verlassen hast.«
»Von der A-Kompanie?« Ich stand in der Türöffnung und lehnte mich gegen einen Pfosten.
»Sehr wahrscheinlich. Gegen sechzehn Uhr kommt ein Gharri vorbei und nimmt dich mit. Du mußt dich im 26. Verstärkungslager melden.«
»Wo ist das, Sergeant?«
»Ich sag’s dir nur ungern, Kamerad, aber es liegt in Dimapur. Du bekommst endlich deine Chance, die Japse von ihrem Einmarsch in Indien abzuhalten. Endlich kannst du an die Front.«
Es war stickig in seinem kleinen Büro, fast so heiß wie draußen. Zwischen all den Dienstplänen und den Listen der verschiedenen Einheiten hingen auch Pin-ups an der Wand.
Der März des Jahres 1944 war beinahe zu Ende. In Europa wurden die Nazis an jeder Front geschlagen, und der Sieg schien eine sichere Sache zu sein. In Indien waren wir gegen die Japaner noch gar nicht richtig aktiv geworden, und die Gebiete, die bereits zurückerobert werden mußten, waren in ihrer Ausdehnung atemraubend groß. Britische Truppen hatten in Arakan zwar Geländegewinne zu verzeichnen, aber die Japaner bewegten sich in westlicher Richtung auf die Tore Indiens zu und mar schierten von den Hochebenen Zentral-Burmas herunter – wie ich sogar aus der Lektüre der Zeitung wußte.
Zum Abschied dem Sergeant zunickend, ging ich zum großen Zelt hinüber, ein wenig blaß um die Nase. Dimapur war die Hauptstadt des gleichnamigen Staates, gleich neben Assam, direkt an Burma angrenzend und sehr weit entfernt vom falschen Glanz Kalkuttas.
Die Reste der 14. Armee spürten, daß irgend etwas im Busch war, und zogen mir schon bald die Neuigkeit aus der Nase.
»Du glücklicher Scheißer! Jetzt bekommst du endlich deine verdammte Chance, richtigen Dienst zu machen. Es wurde auch Zeit, daß ihr armseligen Etappenjünglinge euren Anteil leistet!«
»Ich hoffe nur, daß ich zu meinen Kameraden komme, das ist alles, was ich will.«
Ich brauchte nicht lange, um meine wenigen Habseligkeiten zusammenzupacken. Ich wuchtete mir den Sack auf die Schulter und ging zum Ausgang.
»Viel Glück, alter Junge!« sagte der Sergeant. »Alles Gute. Du wirst es schon schaffen. Mach dir keine Sorgen!« Er klopfte mir auf die Schulter.
Ich rannte zu den Latrinen, schloß mich in einer der Kabinen ein und brach in Tränen aus. Ich konnte überhaupt nicht aufhören. Ich saß nur da und weinte; ich konnte es einfach nicht ertragen, daß man so nett mit mir redete.
Nach einiger Zeit riß ich mich zusammen und zündete mir eine Zigarette an. Die anderen Geräusche des Scheißhauses – das Schlagen von Türen, Fürze, rauschender Urin – drangen von weither zu mir, während ich versuchte, mir einen Überblick über mein Leben zu verschaffen. Burma. Meine Hand war wieder in Ordnung. Aber kein Vögeln mehr … Wann hatte ich endlich eine lange, aufregend erotische Liebesaffäre mit einem Mädchen? Einem weißen Mädchen aus England. Oder mit einer Chinesin, einer dieser Schönheiten, die ich auf der Chowringhee Street neulich gesehen hatte,
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