Der Aufstand Auf Dem Jahrmarkt
Marktstand vorgefunden hatte. Aber dort war die Hütte von innen verriegelt gewesen, und jemand hatte die Riegelstange mit einem Dolch emporgehoben. Hier gab es ein Schloß, das von innen wie von außen betätigt werden konnte, und keinen Schlüssel.
»Das gefällt mir nicht.« Rhodri ap Huw schritt vorwärts, um die Tür zu öffnen. Wie zu erwarten war, fand er sie verschlossen, bückte sich und spähte blinzelnd durch das große Schlüsselloch. »Von innen steckt kein Schlüssel«, sagte er über die Schulter, ohne das Auge von der Öffnung zu nehmen. »Keine Bewegung drinnen.« Mittlerweile war Cadfael zu ihm getreten, und drei oder vier andere waren gleichfalls gekommen. »Macht Platz!«
Rhodri stemmte einen Fuß gegen den Türpfosten, umfaßte die Türkante mit beiden Händen und zog so mächtig daran, daß die breiten Schultern sich zu einem gewaltigen Buckel krümmten. Holz splitterte um das Schloß, Staub und kleine Holzteilchen flogen umher, und die Tür sprang auf. Rhodri schwankte rückwärts, fing sich und war als erster durch die Öffnung gestürmt, aber Cadfael folgte ihm schnell genug, um sich zu versichern, daß der Waliser im Inneren nichts anrührte. Sie standen zusammen im Halbdunkel und blickten sich um.
Ein wüstes Durcheinander herrschte im Marktstand des Handschuhmachers. Regale waren leergefegt, Waren lagen am Boden verstreut. Über einem Strohsack an der Rückwand lag der Umhang des Handschuhmachers, auf einem eisernen Ständer daneben bog sich eine erloschene Kerze in talgigen Falten. Sie benötigten einige Sekunden, um ihre Augen an das Halbdunkel zu gewöhnen und deutlich zu sehen. Inmitten seiner durcheinandergeworfenen Vorräte von Gürteln, Handschuhen, Geldbeuteln, Satteltaschen und Wehrgehängen lag Euan von Shotwick auf dem Rücken, die Knie angezogen, einen Beutel aus grober Sackleinwand lag über den ergrauenden Kopf und das schmale Gesicht gezogen. Darunter grinste der dünnlippige Mund in einer schmerzlich erstarrten Grimasse mit großen weißen Zähnen hervor, und der Winkel, den sein Kopf zum Körper bildete, erinnerte beängstigend an eine zerbrochene Holzpuppe.
Cadfael wandte sich um und stieß den Laden hoch. Das Morgenlicht flutete herein. Er bückte sich, um den verdrehten Hals und die hohle Wange zu berühren. »Kalt«, sagte Rhodri hinter ihm, ohne sich um eine Bestätigung seines Urteils zu bemühen, das indes zutreffend genug war. Euans Fleisch war kalt. »Er ist tot«, erklärte Rhodri.
»Seit einigen Stunden«, meinte Cadfael.
In der Aufregung hatte er Emma vergessen, aber ihr halberstickter Schreckenslaut veranlaßte ihn, sich hastig und bestürzt zu ihr umzuwenden. Sie stand in der Gruppe der Markthändler und Neugierigen und starrte entsetzt in den geöffneten Marktstand, die kleinen Fäuste gegen den Mund gepreßt. »Nein - nein!« stammelte sie. »Nicht tot! Nicht auch er...«
Cadfael nahm sie in die Arme und stieß sie vor sich her aus dem Kreis der Umstehenden. »Geht zurück! Ihr dürft nicht hierbleiben.
Geht zurück, bevor Ihr vermißt werdet, und überlaßt dies mir.« Er fragte sich, ob sie seine gedämpfte Stimme überhaupt hörte. Sie zitterte, weiß wie Milch, die blauen Augen starr und schreckgeweitet.
Hilfesuchend hielt er nach jemandem Ausschau, dem er das Mädchen anvertrauen konnte, denn er wollte sie nicht allein zurückgehen lassen, mochte sich aber andererseits nicht vom Schauplatz dieses Verbrechens entfernen, bevor Beringar die Aufsicht übernehmen würde, oder wenigstens einer seiner Gehilfen. In dieser Situation war ihm der plötzliche besorgte Ausruf des Wiedererkennens, der aus dem rückwärtigen Teil der rasch anwachsenden Menschenmenge an sein Ohr drang, ein höchst willkommenes Signal.
»Emma! Emma!« Ivo Corbiere bahnte sich mit unsanften Ellbogenstößen einen Weg durch das Gedränge, wie ein jäher Windstoß, der durch ein Getreidefeld fährt und die Halme zur Seite biegt. Sie wandte den Kopf, und ein Funke wiederkehrenden Lebens leuchtete in ihren Augen auf. Cadfael schob sie dankbar in die Arme des jungen Mannes, der sie besorgt und eifrig in seine Obhut nahm.
»Um Gottes willen, was ist mit ihr geschehen? Was...« Sein Blick glitt von ihrem noch starren Gesicht zu Cadfael und weiter zu der offenen Tür mit dem aufgesplitterten Rand. Über ihren Kopf hinweg formten seine Lippen die stumme Frage: »Nicht schon wieder? Noch einer?«
»Geleitet sie ins Gästehaus zurück«, bat Cadfael, ohne die Frage zu beantworten.
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