Der Aufstand
einmal gesehen?
Kate blinzelte hoch zu ihrer Mutter, deren Gesichtsausdruck sehr deutlich machte, dass ihre Tochter
nicht
in einem Rolls-Royce zum Haus Nr. 16 Lavender Close gebracht worden war. Schließlich wäre das für Mrs. Gillian Hawthorne ein Grund zum Feiern gewesen.
«Schau doch nicht so griesgrämig …»
Du alte Kuh
, hätte sie am liebsten hinzugefügt. Sie konnte es sich gerade noch verkneifen, aber irgendwie mussten ihre Augen sie verraten haben, denn der missbilligende Blick ihrer Mutter wurde noch einen Tick strenger.
«Die Polizei hat übrigens angerufen und nach deinem Freund gefragt.»
«Er ist nicht mein Freund», widersprach Kate.
«Deswegen hast du wohl auch so viele Knutschflecke am Hals, du kleines Flittchen.»
Kate legte die Finger an den Hals und zuckte zusammen.
Hatte Dec das gemacht?
«Was wollte die Polizei denn?», murmelte sie.
«Er hat gestern Nacht sein Auto zu Schrott gefahren. Ganz bestimmt im Suff.»
Kate versuchte, sich im Bett aufzusetzen, und bekam sofort pochende Kopfschmerzen. «Was? Geht es ihm gut?»
«Er wird’s überleben. Kakerlaken überleben doch immer, stimmt’s? Warum bist du eigentlich nicht mit Giles Huntley ausgegangen?»
«Weil ich Giles Huntley nicht ausstehen kann. Ich finde ihn widerlich, und Mundgeruch hat er auch.»
«Zumindest hat er eine erstklassige Ausbildung und eine vielversprechende Zukunft vor sich, wenn er nach Cambridge geht. Der muss nicht sein Leben lang unter Motorhauben im Schmierfett herumwühlen. Hast du dir Declan Maddons Fingernägel mal etwas genauer angesehen?»
Wenn sie doch nur den Mund halten könnte, dachte Kate. Ihr Kopf fühlte sich an, als würde er mit einem stumpfen Meißel bearbeitet.
Doch ihre Mutter hörte einfach nicht auf. «Dir ist doch wohl klar, was passieren wird, wenn du so weitermachst, oder? Dann wirst du früher oder später schwanger. Genau wie Chardonnay Watson. Das hat man davon, wenn man sich mit Abschaum abgibt – einen Braten in der Röhre …»
Kate ließ die Schimpftiraden ihrer Mutter über sich ergehen, ohne wirklich zuzuhören. Für einen kurzen Augenblick spürte sie in sich einen Ansturm von Gefühlen, die vorübergehend ihre Kopfschmerzen überdeckten – Gefühle, die sie so noch nie empfunden hatte, darunter ein beinahe überwältigendes Bewusstsein der eigenen Stärke.
Bevor sie sichs versah, hatte sie ihre Mutter an der Gurgel gepackt und schüttelte sie, wie ein Terrier eine Ratte schüttelt. «Halt dein verdammtes Maul!», schrie sie, während ihrer Mutter die Zunge heraushing und ihr Gesicht unter Kates Würgegriff blau anlief.
Doch dann lag Kate wieder auf ihrem Bett, und ihre Mutter stand noch immer über ihr und zog über sie her.
Was geschah nur mit ihr? War sie dabei, den Verstand zu verlieren?
«… hätte ich schon längst tun sollen. St. Hildegard ist für ein junges Mädchen ein weitaus angemesseneres Umfeld. Dort findest du auch die richtige Art von Freunden.»
«Ich soll ins Internat?», brach es aus Kate heraus.
«Hast du mir überhaupt zugehört? Gleich nach den Weihnachtsferien. Und vorher hältst du dich von diesen Asozialen im Nachbarhaus fern, dafür werde ich schon sorgen.»
Kate vergrub das Gesicht im Kopfkissen, während ihre Mutter immer weitermachte. Ihre Migräne marterte sie so sehr, dass sie am liebsten laut aufgeschrien hätte, und übel war ihr auch. Sie fühlte sich schwach, so entsetzlich schwach, als hätte ihr jemand die gesamte Energie aus dem Leib gesaugt.
Doch irgendwo tief in ihrem Innern wusste sie, dass sie sich verändert hatte. Etwas war geschehen. Alles kam ihr plötzlich viel intensiver und klarer umrissen vor – Gerüche, Farben und selbst das Blumenmuster der Tapete, auf der ihre Mutter für ihr Zimmer bestanden hatte.
Kate wusste, dass sie sich verändert hatte – aber wie und warum, das wusste sie noch nicht.
Aber aus irgendeinem für sie unerklärlichen Grund empfand sie bei all dem keinerlei Angst.
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Kapitel 11
Hotel Ritz, London
A lex betrat das große Foyer und ging mit Greg im Schlepptau über den roten Teppich zum Empfang.
«Wir möchten zu Mr. Burnett. Er erwartet uns.»
Zwei Minuten später klopfte Alex an der Tür der Suite. Eine Frau Ende fünfzig machte ihnen auf. Sie hatte ein schmales Gesicht und kurzes Haar und bedachte sie mit einem eisigen Blick.
«Wo ist Baxter?», fragte Alex.
«Der ist gerade beschäftigt. Ich bin seine Agentin. Sie können alles mit mir
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