Der Aufstand
nehmen Sie die Augen von meiner Bluse.»
«Entschuldigung.»
Danach schwiegen beide eine Zeitlang, bis Greg verlegen fragte: «Und wo fahren wir jetzt hin?»
«Ich bringe Sie zurück zur Zentrale. Sie haben noch Papierkram zu erledigen.»
Er schaute sie verwundert an. «Vampire schlagen sich mit Papierkram herum?»
«Jeder Einsatz im Außendienst muss für die Akten protokolliert werden. Harry will, dass ich Ihnen alles beibringe; das heißt, dass Sie sich von jetzt an um die langweiligen Sachen kümmern. Ich habe Besseres zu tun.»
Nachdem sie Greg im Büro abgeladen hatte, fuhr sie nach Soho. Es war mitten am Vormittag, und sie hatte schrecklichen Hunger. Sie brauchte Blut, und zwar sofort.
Sie kannte die Seitensträßchen und Gassen, wie sie nur jemand kennen konnte, der schon seit hundert Jahren dort wie zu Hause war.
«Du», murmelte sie vor sich hin, als sie den Kerl aus dem Café kommen sah. Sie roch den roten Saft in seinen Adern, als er durch eine schmale Straße ging. Sonst war niemand in der Nähe; weit und breit nichts zu sehen außer Berge von Mülltüten und ein verschrammter gelber Baucontainer an der Bordsteinkante. Sie folgte ihrem Ziel und verringerte den Abstand zu ihm.
Sie hüstelte ein wenig, als sie ihm schon ganz nahe war. Er drehte sich um und zog die Brauen hoch, als er die große, attraktive, elegant gekleidete Frau sah, die mit einem verführerischen Lächeln an ihn herantrat.
«Sie haben das hier verloren», sagte sie und hielt ihm einen Zwanzig-Pfund-Schein hin.
Er wirkte ein wenig verwirrt. «Tatsächlich?»
«Er ist Ihnen aus der Tasche gefallen.»
«Echt? Wow. Ich wusste gar nicht, dass ich –» Dann nahm er achselzuckend das Geld und bedankte sich.
Der Fisch hatte angebissen. Sie stand lächelnd da, eine Braue vielsagend nach oben gezogen. Er zögerte. Die Hand mit dem Ehering glitt unbewusst in seine Tasche – ein klares Zeichen dafür, dass er interessiert war. Alex machte sich an ihn heran und drückte ihre Brüste gegen ihn. Er wirkte alles andere als abgeneigt. Sie tat, als wollte sie ihn küssen. In ihrem Mund fuhren sich ihre langen, gebogenen Eckzähne aus. Sie beugte sich vor, und er zog sich nicht zurück.
Das Blut schoss ihr in die Augen, und ihr raubtierhafter Vampir-Instinkt nahm von ihr Besitz, als sie ihn beißen wollte.
Genau in diesem Augenblick läutete das Handy in ihrer Tasche und lenkte sie ab, und der Typ kam wieder zu Sinnen und entfernte sich – mit hochrotem Kopf, sichtlich verwirrt und immer noch mit ihrem Geldschein in der Hand.
Sie nahm den Anruf entgegen.
«Verflucht, Harry», sagte sie gereizt. «Sie haben mich gerade um eine Mahlzeit und einen Zwanziger gebracht.»
«Wie schnell können Sie in Oxford sein?»
«Ziemlich schnell. Was ist denn los in Oxford?»
«Gestern Nacht gab es da einen Autounfall. Nur ein Insasse, ein Jugendlicher. Die Polizei hat ihn ins John-Radcliffe-Hospital gebracht. Einer unserer Leute hat berichtet, dass der Junge ziemlich wüstes Zeug von einer Art rituellem Blutopfer erzählt haben soll.»
«Ist dabei auch das V-Wort gefallen?»
«Ja, er hat sogar behauptet, über ein ganzes Nest gestolpert zu sein. Anscheinend war er gerade auf der Flucht von dort, als er seinen Wagen zu Schrott gefahren hat.»
Alex runzelte die Stirn. «Schon wieder Abtrünnige?»
«Möglich wäre es.»
«Oder einfach nur die übliche Hysterie an Halloween. Das haben wir doch jedes Jahr, Harry. Ich wette, der Knabe stand unter Drogen.»
«Stimmt. Aber ich denke, Sie sollten die Sache trotzdem mal überprüfen. Wir können es uns nicht leisten, ein Risiko einzugehen.»
«Warum ausgerechnet ich? Können Sie nicht Gibson hinschicken?»
«Gibson ist in Athen.»
Alex seufzte. «Also gut, bin schon unterwegs.»
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Kapitel 13
S eit dem Gespräch, das Joel in der Kantine mitgehört hatte, war ihm die Geschichte von Declan Maddon nicht mehr aus dem Kopf gegangen. War er auf dem besten Weg, verrückt zu werden? Vielleicht hatte er ja zu hart gearbeitet.
Dennoch
musste
er einfach mit diesem Jungen reden. Nachdem er einen nervenaufreibenden Morgen lang Papiere hin und her geschoben hatte, war ihm ein neunzigminütiges Zeitfenster in seinem Tagesplan gerade recht gekommen. Das John-Radcliffe-Hospital lag am Rande der Stadt unweit der Ringstraße um Oxford. Joel fuhr schnell. Es war kurz vor Mittag an einem jener herrlich sonnigen Herbsttage, die von Jahr zu Jahr seltener zu werden schienen.
Die
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