Der Aufstand
Handy kommentarlos an Dec weiter. Dem jungen Mann wich auch noch der letzte Rest von Farbe aus dem Gesicht, als er das Bild auf dem Display anstarrte.
«Klick weiter. Da ist noch ein zweites.»
Dec tat es, und sein Gesicht wurde noch blasser. Er ließ das Handy in seinen Schoß sinken und schlug die Hände vors Gesicht. «Scheiße. Das ist wirklich übel.»
Joel nahm ihm das Telefon wieder ab. «Alles klar bei dir?»
«Ja, alles klar. Mir ist nur der Appetit aufs Abendessen vergangen.»
«Und?»
«Sie ist es», murmelte Dec durch die Finger. «Das Mädchen von der Party. Die Kleine, die sie getötet haben.»
«Dec, wir müssen das absolut sicher wissen.»
Der junge Mann blickte ihm fest in die Augen. «So etwas vergisst man nicht. Ich bin mir absolut sicher.»
Joel nickte. Er schwieg ein paar Sekunden, während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Sich Dec Maddon anzuvertrauen, war vielleicht riskant – aber der Junge war alles, was er bislang hatte.
Er holte tief Luft. «Dec, dir ist ja wohl klar, dass es hier nicht nur um normale Ermittlungen in einem Mordfall geht, oder? Das hier ist etwas anderes.»
Dec schaute ihn an. «Heißt das, Sie glauben mir?»
Joel zögerte lange, bevor er antwortete. «Was ich dir jetzt sage, muss unter uns bleiben. Ich gehe damit ein hohes Risiko ein. Kann ich dir vertrauen?»
Dec nickte ernst. «Ja. Sie haben mein Wort.»
«Du wirst morgen früh entlassen, und dann machen wir beide eine kleine Spritztour aufs Land. Du musst mir helfen, dieses Haus zu finden. Ich will, dass du dir so lange den Kopf zermarterst, bis du dich an irgendetwas Konkretes erinnerst.»
«Mach ich schon die ganze Zeit. Und allmählich fallen mir auch wieder Einzelheiten ein», erklärte Dec.
«Zum Beispiel?»
«Zum Beispiel diese verrückten Vögel.»
«Vögel?»
«Ja, die Dinger auf den Torpfosten. Wie Skulpturen, Sie wissen schon. Steinerne Vögel. Raben oder so. Ich erinnere mich an ihre Klauen und Schnäbel. Gruselige Viecher.»
Joel klopfte ihm auf die Schulter und stand auf, um zu gehen.
«Gut so. Und denk weiter nach. Und schreib alles auf, was dir einfällt. Ich komme morgen früh wieder.»
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Kapitel 20
E s war bereits Abend, als Joel auf die Lavender Close am Rand des Marktfleckens Wallingford einbog. Langsam fuhr er an den Gartentoren vorbei und hielt Ausschau nach der Nummer 16 , allerdings ohne Erfolg. Als er schon wieder umkehren wollte, wurde ihm plötzlich klar, dass das Haus der Hawthornes das einzige in der Straße sein musste, das einen Namen statt einer Hausnummer hatte. «The Willows» stand auf dem reichverzierten Schieferschild an der Wand.
Er schob die schwere Suzuki an den Bordstein vor dem Tor und stellte den Motor ab. Dann löste er die Riemen seines Helms und blickte sich um. Die Häuser sahen aus wie in einem Werbekatalog; alle standen fein säuberlich herausgeputzt im gelblichen Schein der Straßenlaternen nebeneinander, und jedes hatte einen kleinen, gepflegten Vorgarten. In zweien dieser Gärtchen standen sogar Gartenzwerge. Nur das Haus unmittelbar neben dem der Hawthornes hatte keinen zwanghaft kurz geschnittenen Rasen und keine perfekte Hecke, und anstelle eines Rover oder Volvo standen in der Einfahrt der Lieferwagen eines Bauunternehmers und ein paar auf sportlich frisierte Autos mit Schrägheck. Das konnte nur das Haus der Maddons sein.
Er ging durch das Gartentor von «The Willows», fuhr sich an der Haustür mit den Fingern durchs Haar und klopfte. Wenige Sekunden später ging im Hausflur ein Licht an, bevor eine Frau mit säuerlicher Miene die Tür öffnete. Sie beäugte das Motorrad und seine Lederjacke mit unübersehbarer Abneigung und verschränkte die Arme vor der Brust.
«Falls Sie zu den Maddons wollen, die wohnen gleich nebenan.»
«Nein, zu denen will ich nicht. Spreche ich mit Mrs. Hawthorne?»
«Ja, Gillian Hawthorne», antwortete sie verunsichert und riss die Augen auf, als er ihr seinen Polizeiausweis vor die Nase hielt. «Sie sind Detective Inspector?», fragte sie und versuchte dabei gar nicht erst, ihre Skepsis zu verbergen.
«So unwahrscheinlich es auch scheinen mag», hätte er am liebsten erwidert, doch stattdessen schlug er seinen höflichsten Tonfall an und sagte: «Ich würde gerne kurz ein paar Worte mit Ihrer Tochter Kate sprechen. Ist sie da?»
«Falls es um diesen Declan Maddon geht, sollten Sie dann nicht besser mit
denen
reden?» Sie deutete mit dem Daumen verächtlich auf das
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