Der Aufstand
plötzlich drehte das Ding sich um und rannte davon. Seine leichten Schritte hallten im Durchgang wider. Joel stand einen Augenblick lang wie angewurzelt da und sprintete dann hinterher. Jetzt wusste er, was er jagte, und diese Gewissheit trieb ihn fast in den Wahnsinn – aber er riss sich zusammen und rannte weiter, so schnell er konnte. Der Weg bog nach links ab und dann wieder nach rechts und mündete dann in die Straße. Die Gestalt bewegte sich mit beeindruckender Geschwindigkeit. Sie schwang sich über eine Mauer und überquerte mit drei riesigen Schritten einen Kinderspielplatz. Im matten Licht der Straßenlaternen sah Joel einen extravaganten Sportwagen. Die futuristischen Flügeltüren öffneten sich automatisch, und die Kreatur sprang hinein. Der Motor startete mit einem aggressiven Aufheulen, und der Wagen raste los, wobei die Räder auf der nassen Straße kreischten.
Joel erkannte das Modell. Ein McLaren F 1 – so ziemlich das schnellste jemals gebaute Serienfahrzeug. Noch nie hatte er eines live gesehen. Der Sound erinnerte an einen Formel- 1 -Rennwagen. Joel erhaschte einen kurzen Blick auf das Kennzeichen, als der McLaren sich zwischen den auf der schmalen Straße geparkten Autos durchschlängelte, und prägte es sich ein.
Der Sportwagen war schon fast außer Sichtweite, als er aus der Gegenrichtung einen einzelnen Motorradscheinwerfer kommen sah. Der McLaren fuhr voll auf das Motorrad zu und zwang den Fahrer zum Ausweichen. Das Motorrad schlitterte über die Bordsteinkante auf eine Grasfläche und rutschte seitlich weg. Der Fahrer stürzte, und seine Maschine schrammte über den Gehsteig. Joel rannte los. Der Fahrer war bereits dabei, sich wieder aufzurappeln, als er ihn erreichte, und klappte sein regennasses Visier hoch.
«Alles klar mit Ihnen?»
«Der Drecksack hat mich von der Straße gedrängt!»
«Habe ich gesehen. Hören Sie, dies ist ein polizeilicher Notfall. Ich brauche Ihre Maschine.» Und noch bevor der Fahrer eine Antwort stammeln konnte, hatte Joel sich bereits gebückt und den Lenker des gestürzten Motorrads gepackt. Es war ein Sportmodell, eine Yamaha R 1 . Schnell. Nicht annähernd so schnell wie ein reinrassiger Rennwagen, aber er hatte trotzdem eine Chance. Der Motor der Yamaha lief noch. Joel stöhnte vor Anstrengung, als er die Maschine aufstellte. Er schwang das Bein über den Sattel, legte den ersten Gang ein, gab Vollgas und ließ die Kupplung kommen. Das Vorderrad hob vom Boden ab, und er hielt sich gut fest, als die Maschine mit einer irren Beschleunigung hinter dem verschwindenden McLaren herjagte. Ohne Helm war das Brausen des Fahrtwinds ohrenbetäubend, und die Regentropfen fühlten sich so hart an, als könnten sie ihm das Gesicht zerfetzen. Aber das spielte keine Rolle. Was zählte, waren nur die Rücklichter des McLaren. Joel brüllte ihnen hinterher, den Kopf hinter der knappen Plexiglas-Scheibe des Motorrads, und gab Gas, bis der Tacho 225 Stundenkilometer anzeigte, als er aus Wallingford auf die dunklen Landstraßen hinausraste.
Innerhalb einer Minute fuhr Joel schneller, als er es je in seinem Leben getan hatte. Er hatte größte Mühe, die Yamaha zwischen den Hecken zu halten, und fiel trotzdem immer weiter hinter den McLaren zurück.
Stimmen hallten in Joels Kopf wider.
Das ist Wahnsinn. Du bringst dich noch um.
Und wenn du ihn kriegst, was dann? Das ist kein gewöhnlicher Krimineller, das ist ein …
Vampir. Joel brachte es nicht über sich, das Wort auszusprechen, nicht einmal in Gedanken.
Der McLaren raste weiter und vergrößerte den Abstand zu dem Motorrad immer mehr. Fast schneller, als Joel reagieren konnte, kamen ein paar Kurven auf ihn zu. Er verlagerte sein Gewicht auf dem Sitz, zog die Maschine tief hinunter in die erste Linkskurve und riss gleich danach das Motorrad so heftig nach rechts, dass die Straße nur wenige Zentimeter unter ihm hindurchraste. Kaum hatte er die Kurven hinter sich gelassen, gab er auch schon wieder Vollgas und fuhr mit durchdrehendem Hinterrad und über hundertsechzig Stundenkilometern in den blendenden Regen.
Ortsschilder flogen schneller an ihm vorbei, als er sie lesen konnte. Bei über zweihundert Stundenkilometern glich die schmale Straße einem bernsteinfarben ausgeleuchteten Tunnel. Der McLaren wurde noch schneller. Plötzlich bog ein Lastwagen aus einer Seitenstraße ein und zwang den Sportwagen zum Bremsen und Ausscheren. Der McLaren kam ins Schleudern und durchbrach unter einem Hagel von
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