Der Aufstand
Holzsplittern einen Gartenzaun, bevor er über ein Stück Rasen zurück auf die Straße schlitterte.
Joel schoss er auf den Lastwagen zu, der seinen Weg unbeirrt fortsetzte. Zum Bremsen war es zu spät, und so steuerte er das Motorrad auf die schmale Lücke zwischen dem Kotflügel des Lkw und der gegenüberliegenden Hauswand zu. Einen entsetzlichen Sekundenbruchteil lang fürchtete er, gleich die Mauer wie ein Geschoss zu durchschlagen und auf der anderen Seite als Haufen toten Fleisches in einem Wohnzimmer zu landen. Er zog Knie und Ellbogen an, duckte sich hinter die Armaturen und schaffte es irgendwie unbeschadet durch die Lücke, bevor er weiter dem wild beschleunigenden McLaren folgte.
Sie schossen nun auf den Rand der Ortschaft zu. Ein Straßenschild flog vorbei, fast zu schnell für Joel, um zu merken, dass ihn ein Bahnübergang erwartete. Warnlichter blinkten, eine Glocke klingelte. Die Schranke war bereits unten, und hinter ihr rumpelte ein Zug vorbei.
Die Bremslichter des McLaren leuchteten rot auf, als der Wagen kreischend zum Stehen kam. Der Vampir saß in der Falle. Die einzige Abzweigung war durch eine Baustelle blockiert, die die ganze Straßenbreite einnahm und fast bis an die Geleise reichte: Baucontainer, hohe Sand- und Kieshaufen, Mischmaschinen.
Als Joel auf den Sportwagen zuschoss, begann sein Herz zu flattern. Die Jagd war vorüber, doch richtig gefährlich wurde es erst jetzt. Während er vom Gas ging und bremste, stellte er sich vor, wie die Wagentür aufging und der Fahrer ausstieg, unsterblich und unaufhaltsam.
Und alles andere als dumm. Er würde ihm vom Gesicht ablesen, dass er nur geblufft hatte und nicht im Besitz eines mythischen Kreuzes war. Was dann? Joel wollte sich das lieber nicht ausmalen.
Doch die Wagentür ging nicht auf. Der Fahrer des McLaren schien einen Augenblick zu zögern, bevor der Motor aufheulte. Der Wagen drehte sich fast auf der Stelle und schoss direkt auf ihn zu.
Joel bremste, aber zu heftig. Das Vorderrad verlor auf der nassen Straße die Haftung und rutschte unter ihm weg. Alles schien wie in Zeitlupe abzulaufen. Er spürte, wie er durch die Luft flog und dann hart auf den Boden aufschlug. Das Motorrad schlitterte auf der Seite liegend unter einem Funkenregen über den Asphalt. Die grellen Scheinwerfer des Autos schossen auf ihn zu.
Joel streckte die Hand hilflos vor sich aus, als der Wagen kurz davon schien, ihn zu überrollen.
Doch das geschah nicht. Fünfzehn Meter von der Stelle, wo er auf der nassen Straße lag, legte der Fahrer des McLaren einen Powerslide hin. Aus seinen Auspuffrohren schlugen Funken, und aus den Radkästen stieg Rauch auf, als der Wagen in Richtung auf den vorbeifahrenden Zug voll beschleunigte.
Wenige Meter vor dem Bahnübergang scherte er plötzlich aus und schoss mit rund hundertdreißig Stundenkilometern Richtung Baustelle. Joel stockte der Atem, als der McLaren, ohne zu bremsen, auf einen Sandhaufen zusteuerte, offenbar um ihn als Sprungrampe über die Schienen zu benutzen. Mit heulendem Motor hob er ab und schaffte es tatsächlich über den Zug hinweg. Joel hörte, wie die Räder auf der anderen Seite kreischend wieder auf der Straße aufsetzten.
Wenige Sekunden später war der Zug vorüber, und Joel sah die Heckleuchten des Autos in der Ferne in der Dunkelheit verschwinden.
Er rappelte sich auf und wischte sich den Splitt von seinen aufgeschürften, blutigen Händen.
Die Schranken gingen auf. Mit letzter Kraft richtete Joel die umgestürzte Yamaha wieder auf, als er sah, dass die linke Lenkstange fast vollständig durchgebrochen war. Auch das Kupplungspedal war ruiniert, die Hydraulikflüssigkeit ausgelaufen. Er stieß einen Wutschrei aus und ließ das kaputte Motorrad krachend umkippen.
Es war drei Minuten vor Mitternacht. Er humpelte auf der Straße zurück in die Richtung, aus der er gekommen war.
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Kapitel 27
N ebelschwaden zogen vom Fluss herüber, als Alex und Greg kurz vor Mitternacht an den menschenleeren Kais entlanggingen. Zu ihrer Linken standen Reihen von Lagerhäusern, zu ihrer Rechten schwappte das dunkle Wasser gurgelnd gegen die Uferbefestigung. Die Rümpfe großer Schiffe bewegten sich langsam auf und ab und warfen schwere Schatten auf den Beton. Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Von der anderen Seite des Wassers drangen die Lichter der neuen Wohnbebauung in den Docklands durch den Nebel.
«Sie sind sauer auf mich, stimmt’s?»
Alex sagte nichts.
«Das merke ich doch.
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