Der Aufstand
einem sehr langen Tisch, der von Dutzenden identischer Stühle flankiert war. Es gab auch eine Weißwandtafel, eine Leinwand und einen Projektor sowie eine erhöhte Bühne mit einem Rednerpodest und weiteren Stühlen, die in Reihen davor aufgestellt waren.
«Sie haben alles verändert», sagte Dec auf Joels fragenden Blick hin. «Alles war anders. Da war eine Tanzfläche, und der restliche Raum war vollgestellt mit alten Möbeln und so.» Er zeigte auf die Wand. «Die Bilder sind dieselben – alte Porträts, das weiß ich noch ganz genau.»
«Die Eichenpaneele stammen aus dem siebzehnten Jahrhundert», erklärte Finch. «Und die Gobelins sind sehr kostbar. Aber ich würde trotzdem gerne wissen, wovon dieser junge Mann da spricht und aus welchem Grund Sie überhaupt meine Zeit in Anspruch nehmen.»
«Mr. Maddon ist mir bei offiziellen polizeilichen Ermittlungen behilflich», erwiderte Joel unterkühlt.
«Das da drüben ist der Kerl», sagte Dec und deutete auf das größte der Porträts, das ein ganzes Wandpaneel zwischen zwei Erkerfenstern einnahm. Es stellte einen auffallend gut aussehenden, aristokratisch wirkenden Mann Anfang vierzig dar. «Ihr Anführer.»
Joel sah sich das Gesicht sehr genau an. War das derselbe Mann – falls es überhaupt ein Mann gewesen war –, den er von Lavender Close aus verfolgt hatte?
«Also wirklich, Inspector.» Finch verlor allmählich die Geduld. «Was soll das alles?»
«Wer ist das?», fragte Joel und zeigte auf das Porträt.
«Das ist Mr. Stone, mein Chef.»
«Und wo hält sich Mr. Stone im Augenblick auf?»
«Er ist außer Landes.»
«Wo genau?»
«In der Toskana», sagte Finch kurz angebunden. «Im Haus eines guten Freundes.»
«Dann wüsste ich gerne, wo Mr. Stone sich in der Nacht von Halloween aufgehalten hat.»
«Halloween?» Finch zog die Stirn in Falten, als höre er das Wort zum ersten Mal.
«Die letzte Nacht im Oktober», erklärte Joel, so geduldig er konnte.
«Verzeihen Sie mir», erwiderte Finch ohne jeden entschuldigenden Beiklang, «falls ich Sie jetzt enttäuschen muss. Mr. Stone war damals bereits in Italien.»
«Unsinn, der Kerl war hier», brach es aus Dec heraus.
Joel brachte ihn mit einem scharfen Blick zum Schweigen. «Ich muss das nachprüfen. Wer ist sein Freund?»
«Jeremy Lonsdale», antwortete Finch.
«Jeremy Lonsdale, der Minister?»
«Richtig. Und nun, da Sie offenbar keinen Durchsuchungsbeschluss für dieses Anwesen haben, möchte ich Sie um eine Erklärung für diese Belästigung bitten, bevor ich Sie hinauswerfe.»
«Wir haben Hinweise darauf, dass sich hier in der fraglichen Nacht ein schwerwiegender Vorfall abgespielt hat», erklärte Joel. «Ich spreche von einem Ritualmord an einer Jugendlichen.» Kaum waren die Worte heraus, bedauerte er auch schon, es gesagt zu haben. Er hatte sich im Lauf seiner Karriere schon mehr als einmal ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt, aber das hier war so, als würde er auf die äußerste Spitze eines Astes klettern und diesen anschließend hinter sich absägen.
Finch starrte ihn einen Augenblick lang an und brach dann in schallendes Gelächter aus. «Hier, im
Ballsaal
?»
«Nein, unten in der Gruft», warf Dec ein. Joel stöhnte innerlich auf. Er hätte den Jungen besser im Auto warten lassen sollen.
«Mr. Maddon verfügt offenbar über eine blühende Phantasie», erklärte Finch trocken. «Wie Sie sehen, wird das Haus gerade von Grund auf renoviert. Hier entsteht ein neues Konferenzzentrum. Aber etwas, das auch nur entfernt einer Gruft ähnelt, haben wir bislang noch nicht entdeckt. Es gibt nur einen Weinkeller am anderen Ende des Hauses, unter der Küche im Ostflügel. Aber der ist mit Wasser vollgelaufen und voller Unrat.»
Dec ließ sich davon nicht beirren. Er zeigte auf das hintere Ende des Raums, wo die Bühne stand. «Da, sehen Sie den alten Teppichfetzen an der Wand? Da war ein Vorhang. Dahinter ist eine Tür, und die führt hinunter in die Gruft.»
Und bevor Joel ihn aufhalten konnte, rannte er auch schon durch den Raum. Er sprang auf die Bühne und begann, an der Ecke des Wandteppichs zu zerren. Finch fielen beinahe die Augen heraus.
«Inspector, ich muss Sie bitten, Ihr Schoßhündchen an der Leine zu halten. Dieser ‹alte Teppichfetzen› ist unbezahlbar. Er stammt aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Ein Erbstück der Familie Stone. Und ich kann Ihnen versichern, dass Sie hinter ihm keine Tür finden werden.»
Joel rannte Dec nach und hielt ihn zurück. Dann
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