Der Auftrag
bisher blind durch ein behütetes, abgeschottetes Leben gegangen? War die hohe Stellung der Sonnenpriester nur durch beschirmende Mauern und hohle Rituale gewährleistet? War ihre Heiligkeit, ihre Unberührbarkeit nur Blendwerk, damit das Volk ihre Gewöhnlichkeit nicht bemerkte?
Immer, wenn Jaryn mit seinen Zweifeln an diesem Punkt angelangt war, schreckte er zurück. Nein! Das war völlig unmöglich. Der Sonnentempel existierte, seit es Überlieferungen gab. Die Menschen konnten sich nicht Jahrhunderte hindurch geirrt haben. Und da war der große Sagischvar: War er denn klüger als dieser? Niemals!
Jaryn hatte inzwischen das Dorf durchquert und war einem sanft ansteigenden Weg gefolgt, der in die Hügel führte. Die Einsamkeit tat ihm gut. Hier konnte er die Nacht verbringen, um dann am nächsten Morgen ausgeruht den Rückweg anzutreten. Vielleicht wartete Caelian auf ihn, vielleicht war er auch nach Margan zurückgekehrt. Das spielte keine Rolle mehr.
Der Weg führte jetzt durch eine schmale Schlucht, irgendwo hörte er das Rauschen eines Flusses. Durch die dichten Wipfel der Bäume zu beiden Seiten fiel nur noch spärliches Tageslicht. Jaryn schaute sich nach einem geschützten Lagerplatz um, als er plötzlich Hufgetrappel vernahm. Drei Reiter mit schwarzen, flatternden Umhängen bogen um eine Felsnase. Als Jaryn sie erblickte, sank ihm das Herz. Er war verloren!
Selten hatte sie jemand zu Gesicht bekommen, er selbst hatte nur von ihnen gehört. Schaurige Geschichten, die nicht nur von Raub und Mord, sondern auch von Geisterwesen und Magie erzählten: die Schwarzen Reiter aus der weißen Wüste. Jaryn erkannte sie nicht nur an ihren schwarzen Umhängen, auch an den schwarzen Pferden. Es hieß, sie seien eine besondere Züchtung, halb Pferd, halb Dämon, genauso wie die Reiter selbst.
Die Reiter umringten ihn. Ihre Gesichter waren verhüllt, nur für die Augen waren Schlitze offengeblieben. »Du!«, rief einer von ihnen. »Wer bist du? Was suchst du hier?«
Immerhin wurde er in seiner Sprache angeredet. Und wer fragte, der griff nicht gleich zum Schwert. Jaryn holte tief Luft. »Ich bin ein armer Bauer aus Carneth, mein Name ist – Hassan.« In seiner Aufregung war ihm nichts Besseres eingefallen, als den Namen des Wirts etwas abzuändern.
»Und wohin noch so spät des Wegs, Bäuerlein?«, fragte der Reiter. »Dieser Weg führt nirgendwo hin, jedenfalls zu keinem Ort, wo ein Bauer etwas zu suchen hätte.«
Jaryn überlegte fieberhaft nach einer Ausrede. Sollte er sich als der zu erkennen geben, der er war? Aber das mochte noch gefährlicher sein. Die Sonnenpriester waren, wie er inzwischen wusste, außerhalb Margans nicht gern gesehen. Vielleicht half die halbe Wahrheit? »Ich bin hier mit jemandem verabredet. Er heißt Rastafan und wohnt in den Wäldern.«
Der schwarze Reiter und seine Gefährten wechselten Blicke. Den Namen hatten sie offenbar schon gehört. »Was willst du von ihm?«
»Ich soll ihm eine Botschaft ausrichten.«
»So? Von wem denn?«
»Von – äh …« Jaryns Fantasie, was Namen betraf, war nicht sehr groß, und er fürchtete das Schlimmste.
Der Fremde lüftete das Tuch und lächelte boshaft. »Hast du den Namen vergessen? Na, macht nichts, er wird dir schon wieder einfallen. Spätestens, wenn wir dich an den Händen aufgehängt haben, die Füße im Feuer schmorend.«
»Es sei denn«, fiel sein Gefährte bissig ein, »Rastafan erinnert sich an dich.«
»Komm mit«, sagte der Erste, »wir bringen dich zu ihm, damit du dich nicht auch noch verläufst. Dann kannst du ihm deine Botschaft überbringen.« Alle drei brachen in ein höhnisches Gelächter aus.
Jaryn wäre vor Erleichterung beinahe auf die Knie gesunken. Mochten die Drei lachen, nun würde alles gut werden.
Ihm wurde ein Seil um den Hals gelegt. Wie ein Hund musste er hinter den Reitern herstolpern. War er jemals so gedemütigt worden? Und was hatte Rastafan mit den Schwarzen Reitern zu tun? Waren sie gar Verbündete? Konnte Rastafan so tief sinken? Aber dann ermahnte sich Jaryn, dass er den Mann, nach dem er sich sehnte, überhaupt nicht kannte. ›Ich weiß nur, wie du dich beim Vögeln anfühlst‹, hatte er gesagt. Was, wenn zwischen ihnen nichts anderes war als das? Wenn er sich vor lauter Verblendung in ihm geirrt hatte? Einfach nur deshalb, weil er der erste Mensch gewesen war, bei dem er körperliche Lust empfunden hatte?
Immerhin nahm er dankbar zur Kenntnis, dass die Reiter langsam ritten und ihn nicht mit
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