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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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hindurch und nickte langsam, während er über den Vorschlag nachdachte. Stone war ein Ertrinkender, und wenn Schamron nichts unternahm, würde Stone ihn mit in die Tiefe reißen.
    Gabriel versuchte zu schlafen, aber das war zwecklos. Sobald er die Augen schloß, erschien vor seinem inneren Auge eineBilderflut. Er sah sie als bewegungslose Reproduktionen, in Öl auf Leinwand gebannt. Schamron, der ihn auf Lizard Point in den Dienst zurückholte. Jacqueline mit Jusef im Bett. Leah in ihrem Treibhaus-Gefängnis in Surrey. Jusef, der sich mit seinem Kontaktmann im Hyde Park traf… »Keine Sorge, Jusef. Ihre Freundin kann Ihnen nichts abschlagen.«
    Dann dachte er an die Szene, die er erst vor kurzem auf dem Flughafen beobachtet hatte. Seiner Arbeit als Restaurator verdankte Gabriel eine wertvolle Erkenntnis: Was an der Oberfläche zu sehen ist, kann sich erheblich von dem unterscheiden, was darunterliegt. Vor drei Jahren hatte er den Auftrag gehabt, einen van Dyck zu restaurieren - eine Himmelfahrt Mariens, die der Künstler für eine Privatkapelle in Oberitalien gemalt hatte. Bei der ersten Untersuchung des Gemäldes hatte Gabriel den Eindruck gehabt, unter dem Gesicht der Maria etwas anderes zu sehen. Die hellen Hauttöne, die van Dyck aufgetragen hatte, waren im Lauf der Zeit verblaßt, und darunter schien sich ein anderes Gesicht abzuzeichnen. Gabriel nahm eine gründliche Untersuchung des Gemäldes mit Röntgenstrahlen vor, um festzustellen, was unter der Oberfläche lag. Er entdeckte ein vollständiges Werk: das Porträt einer ziemlich korpulenten Dame in einer weißen Robe. Die schwarzweiße Röntgenaufnahme ließ sie geisterhaft erscheinen. Trotzdem erkannte Gabriel den leuchtenden Seidenglanz der Van-Dyck-Farben und die ausdrucksvollen Hände, die für seine in Italien entstandenen Gemälde charakteristisch waren. Später erfuhr er, daß dieses Porträt eine Auftragsarbeit für einen genuesischen Aristokraten gewesen war, dessen Frau es so gräßlich fand, daß sie die Annahme verweigert hatte. Als van Dyck später den Auftrag erhielt, Mariä Himmelfahrt für die Kapelle zu malen, hatte er das alte Porträt weiß übermalt und die Leinwand wiederverwendet. Und als Gabriel das Gemälde restaurieren sollte - über dreieinhalb Jahrhunderte später -, hatte die Frau des genuesischen Aristokraten sich an dem Künstler gerächt, indem sie an die Oberfläche seines Gemäldes emporgestiegen war.
    Er schloß erneut die Augen und verfiel in einen unruhigen Schlaf. Das letzte Bild, das vor seinem inneren Auge erschien, bevor der Schlaf ihn doch übermannte, war eine impressionistische Straßenszene: Jacqueline und die schwarzhaarige Unbekannte saßen in dem Café am Flughafen, und im Hintergrund stand als geisterhaft durchsichtige Gestalt Tariq, der Gabriel mit einer exquisiten Van-Dyck-Hand zu sich heranwinkte.

3 6 Pari s
    Jusef fuhr vom Flughafen mit einem Taxi in die Innenstadt. Er war zwei Stunden lang kreuz und quer durch Paris unterwegs mit der Metro, mit Taxis, zu Fuß. Als er sicher war, daß er nicht beschattet wurde, ging er zu einem Apartmenthaus im 16. Arrondissement am Bois de Boulogne. In die Wand neben der Haustür war eine Sprechanlage mit Klingelknöpfen eingelassen. Jusef drückte auf den Knopf von Apartment 4B, neben dem in verblaßter blauer Schrift der Name Guzman stand. Als der Türöffner summte, trat er rasch ein, durchquerte die Eingangshalle und fuhr mit dem Lift in den vierten Stock hinauf. Er klopfte an die Wohnungstür. Sie wurde sofort von einem stämmigen Mann mit stahlblauen Augen und rötlichblondem Haar aufgerissen. Er zog Jusef herein und schloß lautlos die Tür.
    In Tel Aviv war es früher Abend, als Mordechai sein Büro in der Führungsetage am King Saul Boulevard verließ und den Korridor hinunter zur Operationsabteilung ging. Als er an der Tür des ersten Raums stehenblieb, starrten zwei von Levs Mitarbeitern ihn über ihre Bildschirme hinweg mit schwarzen Augen verächtlich an. »Ist er noch da?«
    Einer der beiden jungen Männer deutete mit seinem angekauten Bleistift in Richtung von Levs Büro. Mordechai wandte sich ab und ging weiter. Er kam sich wie ein Fremder in einem belagerten Dorf vor. Außenstehende waren in Levs Reich nicht willkommen, auch wenn der Außenstehende zufällig der zweithöchste Beamte des Diensts war.
    Lev saß in seinem nüchtern eingerichteten Büro: Schultern hochgezogen, Ellbogen auf die Schreibtischplatte gestützt, das Kinn in seinen langen Händen

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