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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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ruhend, deren Finger bis zu den Schläfen hinaufreichten. Mit seinem kahlen Schädel, den hervorquellenden Augen und seinen Spinnenfingern erinnerte er stark an eine Gottesanbeterin. Als Mordechai eintrat, sah er, daß Levs Aufmerksamkeit nicht etwa einem Agentenbericht, sondern einem großformatigen Werk über die Insekten des Amazonasbeckens galt. Lev klappte das Buch ohne Eile zu und schob es beiseite.
    »Geht in Kanada etwas vor, über das ich informiert sein sollte?« fragte Mordechai.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Bei der Durchsicht der Spesenabrechnungen der Station Ottawa ist mir eine kleine Unstimmigkeit in den Zahlungen an Informanten aufgefallen. Um Zeit zu sparen, wollte ich die Sache telefonisch klären, statt erst umständlich ein Kabel zu schicken. Der Fehlbetrag ist wirklich unbedeutend. Ich dachte, Zvi und ich könnten die kleine Unstimmigkeit sofort klären.«
Levs Finger trommelten ungeduldig auf die Schreibtischplatte. »Was hat das alles mit der Operationsabteilung zu tun?«
»Ich konnte Zvi nicht erreichen. Ich konnte überhaupt niemanden erreichen. Unsere gesamte Station Ottawa scheint verschwunden zu sein.«
    »Was meinst du mit verschwunden?« »Damit meine ich nirgends zu finden. Ohne Erklärung  ausgeflogen.«
    »Mit wem hast du gesprochen?«
    »Mit einer Angestellten aus dem Schlüsselraum.«
    »Was hat sie gesagt?«
    »Daß Zvi vor ein paar Stunden mit allen seinen Leuten in größter Eile abgehauen ist.«
    »Wo ist der Alte?«
    »Irgendwo in Europa.«
    »Er ist gerade erst aus Europa zurückgekommen. Warum ist er schon wieder weg?«
    Mordechai runzelte die Stirn. »Glaubst du, daß der Alte mir irgendwas erzählt? Der alte Hundesohn ist so auf Geheimhaltung versessen, daß er vermutlich oft nicht einmal selbst weiß, wohin er unterwegs ist.«
    »Wir müssen ihn finden«, sagte Lev.

3 7 Montrea l
    Am Flughafen mietete Leila einen Wagen. Sie fuhr sehr schnell auf einer aufgeständerten Autobahn in Richtung Innenstadt. Rechts von ihnen lag der St. Lorenz-Strom, auf dem Eisschollen trieben; links waberte gefrierender Nebel wie Pulverdampf über einen weitläufigen Güterbahnhof. Vor ihnen schimmerten die durch tiefhängende Wolken und leichten Schneefall teilweise verdeckten Lichter der Innenstadt von Montreal. Leila fuhr, als kenne sie die Strecke.
    »Kennen Sie Montreal?« fragte Leila. Das waren die ersten Worte, die sie an Jacqueline richtete, seit sie das Café im Flughafen Charles de Gaulle verlassen hatten.
    »Nein, überhaupt nicht. Und Sie?«
    »Ich auch nicht.«
    Jacqueline, die vor Kälte zitterte, schlang die Arme um ihren Oberkörper. Obwohl die Heizung auf vollen Touren arbeitete, war es im Auto so kalt, daß sie ihren Atem sehen konnte. »Für diese Kälte habe ich nicht die richtige Kleidung«, sagte sie.
    »Lucien kauft Ihnen, was immer Sie brauchen.«
    Lucien würde sich also hier in Montreal mit ihr treffen. Jacqueline hauchte in ihre Hände. »Für eine Einkaufstour ist's zu kalt.«
    »Die besten Boutiquen Montreals liegen in unterirdischen Einkaufspassagen. Um dort einzukaufen, muß man überhaupt  nicht ins Freie gehen.«
    »Haben Sie nicht gesagt, Sie seien noch nie hier gewesen?«
    »Bin ich auch nicht.«
    Jacqueline lehnte ihren Kopf ans Seitenfenster und schloß kurz die Augen. Sie waren in der Business Class geflogen - Leila eine Reihe hinter ihr auf der anderen Gangseite. Eine Stunde vor der Landung war Leila auf die Toilette gegangen. Bei der Rückkehr hatte sie Jacqueline einen Zettel zugesteckt:
    Sie gehen allein durch Paßkontrolle und Zollabfertigung; wir treffen uns am Hertz-Schalter.
    Leila verließ die Autobahn und bog auf den Boulevard René Lévesque ab. Ein eisiger Wind heulte durch die Schluchten zwischen den Bürotürmen und Hotels. Auf den schneebedeckten Gehsteigen war keine Menschenseele unterwegs. Sie fuhr ein paar Straßenblocks weit, hielt vor einem großen Hotel. Ein Portier stürzte heraus und riß Jacquelines Tür auf. »Willkommen im Queen Elizabeth. Sie checken ein?«
    »Ja«, sagte Leila. »Mit unserem Gepäck kommen wir selbst zurecht, danke.«
    Der Portier gab ihr einen Abholschein für den Wagen und setzte sich ans Steuer. Leila führte Jacqueline in die große, laute Hotelhalle, in der es von japanischen Touristen wimmelte. Jacqueline fragte sich, was sie um Himmels willen im tiefsten Winter nach Montreal geführt hatte. Leila wechselte ihren Koffer von der rechten in die linke Hand. Jacqueline zwang sich dazu, nicht darauf zu

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