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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Pässe entgegen, gab wieder Gas und fuhr langsam über die Grenze nach Vermont hinein. Er steckte die Pässe wieder ein; als sie die Grenze weit genug hinter sich gelassen hatten, zog er eine Makarow und setzte sie Jacqueline an die Schläfe.

41 Washington
    Jassir Arafat saß in der Präsidentensuite des Hotels Madison am Schreibtisch, arbeitete Akten durch und hörte dabei das Brausen des spätabendlichen Verkehrs auf dem nassen Asphalt der Fifteenth Street. Er machte einen Augenblick Pause, steckte sich eine tunesische Dattel in den Mund und aß ein paar Löffel Joghurt hinterher. Er hielt gewissenhaft Diät, rauchte nicht, trank weder Alkohol noch Kaffee. Das hatte ihm geholfen, das körperlich sehr anstrengende Leben eines Revolutionärs durchzustehen, dem andere Männer vielleicht längst zum Opfer gefallen wären.
    Da er an diesem Abend keinen Besuch mehr erwartete, hatte er seine Uniform mit einem blauen Jogginganzug vertauscht. Sein kahler Schädel war unbedeckt, und die untere Hälfte seines dicklichen Gesichts verschwand wie immer hinter einem Dreitagebart. Er trug eine Lesebrille, die seine Glupschaugen vergrößerte. Seine vorstehende dicke Unterlippe verlieh ihm den Gesichtsausdruck eines Kindes, das kurz davor ist, in Tränen auszubrechen.
    Da er ein nahezu fotografisches Gedächtnis für Schriftstücke und Gesichter besaß, konnte er die Akten rasch durcharbeiten, wobei er nur gelegentlich eine Pause machte, um Bemerkungen an den Rand zu kritzeln oder sie mit seiner Paraphe abzuzeichnen. Ihm unterstanden jetzt der Gaza-Streifen und große Teile der West Bank eine Entwicklung, die noch vor wenigen Jahren als undenkbar gegolten hätte. Die palästinensische Selbstverwaltung war für die profanen Details gewöhnlicher Regierungstätigkeit wie Schulen und Müllabfuhr zuständig. Ein unübersehbarer Niedergang im Vergleich zu alten Zeiten, in denen er der berühmteste Guerilla der Welt gewesen war.
    Er schob die unbearbeiteten Akten beiseite und schlug eine Dokumentenmappe aus Leder auf. Sie enthielt ein Exemplar des vorläufigen Abkommens, das er morgen bei den Vereinten Nationen in New York unterzeichnen würde. Dieses Abkommen war ein weiterer kleiner Schritt auf dem Weg zur Vollendung seines Lebenswerks: der Schaffung eines Palästinenserstaats. Es war weit weniger, als er sich anfangs vorgenommen hatte - ursprünglich hatte er davon geträumt, Israel von der Landkarte zu tilgen -, aber mehr war gegenwärtig nicht zu erreichen. Innerhalb der Bewegung gab es Leute, die sein Scheitern wünschten, einige sogar seinen Tod. Die Verweigerer, die Träumer. Hätten sie sich durchgesetzt, wären die Palästinenser dazu verdammt gewesen, auf ewig in den Flüchtlingslagern in der Diaspora zu leben.
    Ein Mitarbeiter klopfte an die Tür. Arafat sah auf, als er hereinkam. »Entschuldigen Sie die Störung, Abu Amar, aber der Präsident ist am Telefon.«
    Arafat lächelte. Auch das wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. »Was will er so spät nachts?«
    »Er sagt, seine Frau sei verreist und er langweile sich. Er läßt fragen, ob Sie Lust hätten, ins Weiße Haus zu kommen und ihm Gesellschaft zu leisten.«
    »Jetzt?«
    »Ja, jetzt.«
    »Um was zu tun?«
    Sein Mitarbeiter zuckte mit den Schultern. »Reden, nehme ich  an.«
    »Bestellen Sie ihm, daß ich in zehn Minuten da bin.«
    Arafat stand auf und vertauschte seinen blauen Jogginganzug  mit der schlichten Khakiuniform, die sein Markenzeichen war, und dem traditionellen Palästinenserkopftuch. Er trug die schwarzweiße Kaffijah eines Bauern, die er vorn spitz auslaufen ließ, damit sie eine Karte Palästinas symbolisierte. Der Mitarbeiter kam mit einem Mantel zurück, den er Arafat über die Schultern hängte. Als sie auf den Korridor hinaustraten, wurden sie sofort von Sicherheitsbeamten umringt. Einige der Männer gehörten zu Arafats Leibwache, die übrigen waren vom amerikanischen Diplomatie Security Service abgestellt. Mit Arafat in ihrer Mitte gingen sie den Korridor entlang zu einem Lift, der sie direkt in die Tiefgarage hinunterbrachte. Dort nahm Arafat auf dem Rücksitz einer gepanzerten Limousine Platz. Wenig später war seine kleine Autokolonne auf der Fifteenth Street unterwegs zum Weißen Haus.
    Arafat sah aus dem Fenster. Diese nächtliche schnelle Fahrt auf regennassen Straßen erinnerte ihn ein wenig an alte Zeiten, in denen er nie zwei Nächte nacheinander im selben Bett geschlafen hatte. Manchmal hatte er seinen Aufenthaltsort sogar

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