Der Auftraggeber
Pistole wie ein Kanonenschuß. Man hatte ihn bestimmt gehört. Jacqueline wußte, daß sie schnellstens verschwinden mußte. Aber zuvor mußte sie noch etwas tun: Sie mußte Gabriel warnen, daß Tariq unterwegs war.
Sie stieg über die Leiche hinweg, riß den Telefonhörer von der Gabel und tippte die Nummer in London ein. Als sie ihre eigene Tonbandansage hörte, gab sie drei weitere Ziffern ein. Nach mehrmaligem Klicken folgte ein Summton, dann meldete sich eine Frauenstimme.
»Ja?«
»Ich brauche Ari Schamron, Dringlichkeitsstufe eins. Es geht um einen Notfall.«
»Kennwort?«
»Jericho. Bitte beeilen Sie sich!«
»Warten Sie bitte.«
Die Gelassenheit in der Stimme der jungen Frau war irritierend. Nach mehrfachem Klicken und Summen meldete sich eine neue Stimme. Diesmal war Schamron am Apparat.
»Jacqueline? Sind Sie's wirklich? Wo stecken Sie?«
»Weiß ich nicht genau. Irgendwo in Brooklyn, glaube ich.«
»Bleiben Sie dran. Ich lasse mir die genaue Adresse von der Zentrale geben.«
»Lassen Sie mich nicht allein!«
»Das tue ich nicht. Ich bin hier, Jacqueline.«
Sie begann zu weinen.
»Was ist passiert?«
»Tariq ist irgendwo unterwegs! Er hat sich als Kellner verkleidet. Er sieht völlig anders aus als in Montreal. Er wollte die Verbindung über London nach Tel Aviv benutzen, um Gabriel in eine Falle zu locken, aber ich habe Leila mit einer Nagelfeile und ihrer Pistole umgebracht.«
Sie merkte, daß sie wahrscheinlich völlig hysterisch klang.
»Liegt die Tote da, wo Sie jetzt sind?«
»Ja, neben mir auf dem Fußboden. Oh, Ari, es ist entsetzlich!«
»Sie müssen weg. Noch schnell eine Frage: Wissen Sie, wohin Tariq unterwegs ist?«
»Nein.«
In diesem Augenblick polterten schwere Schritte die Treppe herauf.
Scheiße!
»Es kommt jemand!« flüsterte sie.
»Sie müssen verschwinden!«
»Hier gibt's nur einen Ausgang.«
Sie hörte, wie an die Tür geklopft wurde: zwei energische Schläge, von denen die ganze Wohnung zu erzittern schien.
»Ari, ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Mund halten und warten.«
Drei weitere Schläge, kräftiger als die ersten, aber keine Schritte. Wer immer dort draußen stand, dachte gar nicht daran, wieder zu gehen.
Das nächste Geräusch kam unvorbereitet: ein dumpfer Aufprall, der die Wohnungstür zersplittern und krachend auffliegen ließ. Er war so laut, daß Jacqueline erwartete, mehrere Männer hereinstürmen zu sehen, aber dann erschien nur ein Mann - der Bärtige, der morgens kurz aus seiner Wohnung gesehen hatte, als Tariq sie in dieses Haus gebracht hatte.
Seine Fäuste hielten einen Baseballschläger umklammert.
Jacqueline ließ den Hörer fallen. Der Mann starrte erst die tote Leila, dann Jacqueline an. Dann hob er seinen Baseballschläger und stürmte auf sie zu. Jacqueline riß ihre Pistole hoch und gab zwei Schüsse ab. Der erste traf ihn in die linke Schulter und warf ihn herum. Der zweite durchschlug sein Rückgrat, so daß er mit einem Aufschrei zusammenbrach. Sie trat vor und drückte noch zweimal ab.
Der Raum war voller Pulverdampf und Korditgestank; Boden und Wände waren mit Blut bespritzt. Jacqueline bückte sich und hob den Telefonhörer auf.
»Ari?«
»Gott sei Dank, daß Sie's sind! Hören Sie mir jetzt gut zu, Jacqueline. Sie müssen schnellstens verschwinden.«
»Kein Scheiß, Ari! Wohin soll ich gehen?«
»Sie sind tatsächlich in Brooklyn - an der Kreuzung Parkville Avenue und East Eighth Street.«
»Das sagt mir überhaupt nichts.«
»Sie verlassen das Haus und gehen rechts die Parkville Avenue runter zur Coney Island Avenue. Dort biegen Sie wieder rechts ab. Aber Sie gehen nicht über die Coney Island Avenue, verstanden? Sie gehen auf Ihrer Straßenseite weiter. Ich schicke jemanden, der Sie abholt.«
»Wen?«
»Tun Sie einfach, was ich sage, und gehen Sie jetzt los!«
Am anderen Ende wurde aufgelegt.
Jacqueline ließ den Hörer fallen und hob ihren Mantel auf, der am Fußende des Betts lag. Sie schlüpfte hinein, steckte die Pistole in die Manteltasche und verließ rasch die Wohnung. Sie befolgte Schamrons Anweisungen und war kurze Zeit später auf der Coney Island Avenue mit ihren vielen kleinen Läden unterwegs.
Eine Meile entfernt stand Gabriel im jüdischen Gemeindezentrum in der Ocean Avenue ganz in der Nähe des Premierministers, der einer Gruppe von Schulkindern die Geschichte von Masada vorlas. Einer der Leibwächter des Premierministers tippte ihm leicht auf die Schulter und flüsterte:
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