Der Auftraggeber
hat es in meinem Auftrag untersucht.
Röntgen, Infrarotfotografie, die üblichen Methoden. Seine viel sorgfältigere Untersuchung hat meine Ahnung bestätigt. Das sehr verschmutzte, stark beschädigte Gemälde, das in Hull versteigert wurde, ist in Wirklichkeit ein verschollen geglaubtes Altarbild aus der Kirche San Salvatore in Venedig. Gemalt hat es kein Geringerer als Francesco Vecellio, der Bruder des großen Tizian. Deshalb brauche ich Gabriel, und deshalb werde ich Ihnen nicht verraten, wo er ist.«
Der Weinkellner erschien. Schamron zupfte an einem losen Faden der Tischdecke, während Isherwood sich dem langwierigen Ritual des Riechens, Schmeckens und Nachdenkens widmete. Nach einem dramatischen Augenblick der Ungewißheit erklärte er sich mit dem Wein einverstanden. Er trank das erste Glas sehr schnell und schenkte sich sofort nach.
Als er weitersprach, klang seine Stimme wehmütig, und er schien feuchte Augen zu haben. »Erinnern Sie sich an die gute alte Zeit, Heller? Ich hatte eine Galerie in der New Bond Street, gleich neben Richard Green. Heute kann ich mir diese Lage nicht mehr leisten. In der New Bond Street gibt's nur noch Gucci und Ralph Lauren, Tiffany und Miki-Scheiß-Moto. Und wissen Sie, wer meine alte Galerie übernommen hat? Der gräßliche Giles Pittaway! Er hat allein in der Bond Street bereits zwei Galerien und will im kommenden Jahr zwei weitere eröffnen. Gott, der Kerl breitet sich wie das Ebola-Virus aus - er mutiert, wird stärker und killt alles Anständige, womit er in Berührung kommt.«
Ein pausbäckiger Kunsthändler, der ein rosa Hemd trug und ein hübsches Mädchen am Arm hatte, ging an ihrem Tisch vorbei. Isherwood nickte ihm kurz zu, sagte: »Hallo, Oliver!« und sprach weiter.
»Der Vecellio ist ein echter Coup. Ich brauche alle paar Jahre einen Coup . Nur durch solche Coups bleibe ich im Geschäft. Die Coups subventionieren meinen ganzen Lagerbestand und die vielen Kleinverkäufe, bei denen ich praktisch nichts verdiene.«
Isherwood machte eine Pause und trank einen großen Schluck Wein. »Wir alle brauchen ab und zu einen Coup, nicht wahr, Herr Heller? Ich vermute, daß man selbst in Ihrer Branche ab und zu einen großen Erfolg braucht, um alle Pleiten wettzumachen. Cheers!«
»Cheers«, sagte Schamron und trank einen winzigen Schluck aus seinem Glas.
»Giles Pittaway hätte den Vecellio kaufen können, aber er hat abgewinkt. Das hat er getan, weil er und seine Jungs zu faul waren, ihre Hausaufgaben zu machen. Sie konnten das Gemälde keinem Künstler zuordnen. Ich habe den Vecellio als einziger erkannt, weil ich als einziger meine Hausaufgaben gemacht habe. Giles Pittaway könnte einen Vecellio nicht von Vermicelli unterscheiden. Er verkauft Mist. Hochglanzschund. Haben Sie sein Zeug gesehen? Totaler Scheiß! Drittklassiger Grußkartenscheiß!«
Schamron, der den Herrn Heller spielte, versicherte ihm, er sei schon längere Zeit nicht mehr in den Galerien des berüchtigten Giles Pittaway gewesen.
Isherwood beugte sich mit aufgerissenen Augen, geblähten Nüstern und feuchten Lippen über den Tisch. »Dieser Vecellio muß bis zum Frühjahr restauriert und verkaufsfertig sein«, fuhr er sotto voce fort. »Wird er nicht fertig, springt mein Käufer ab. Und Käufer wachsen heutzutage nicht auf Bäumen - vor allem keine, die ein Altarbild von Vecellio wollen. Die potentiellen Käufer für ein Gemälde dieser Art könnte ich an den Fingern einer Hand abzählen. Bekommt mein Käufer kalte Füße, finde ich vielleicht nie mehr einen anderen. Und wenn ich keinen finde, wird mein Vecellio ein ganz ordinärer Lagerartikel. ›Verbrannt‹, wie wir in der Branche sagen. Sie verbrennen Agenten, wir verbrennen Gemälde. Ein Bild wird einem aus den Händen gerissen - oder es zerfällt im Lagerraum irgendeines Kunsthändlers zu Staub. Und ein verbranntes Gemälde ist wertlos, genau wie Ihre Agenten.«
»Ich verstehe Ihr Dilemma, Julian.«
»Tun Sie das wirklich? Auf der ganzen Welt gibt's vielleicht fünf Leute, die diesen Vecellio fachgerecht restaurieren können. Gabriel Allon ist zufällig einer von ihnen, und die anderen vier würden sich nie dazu herablassen, für jemanden wie mich zu arbeiten.«
»Gabriel ist ein talentierter Mann«, bestätigte Schamron gelassen. »Leider benötige ich seine Talente ebenfalls, und der Auftrag, den ich für ihn habe, ist etwas wichtiger als ein fünfhundert Jahre altes Gemälde.«
»O nein, sicher nicht! Die Haie sammeln sich schon, und
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