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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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studierte ihn im Profil. Sein Kiefergelenk bildete einen perfekten rechten Winkel, seine Nase war lang und schmal mit klar definierten Linien, seine Lippen waren voll. Lange Wimpern, weit geschwungene Augenbrauen. Er hatte sich sorgfältig rasiert und duftete schwach nach einem teuren Rasierwasser.
    Nach dem, was Gabriel ihr erzählt hatte, hatte Jacqueline erwartet, Jusef werde arrogant und übertrieben selbstsicher auftreten. Aber statt dessen ließ er eine angenehme, eher zurückhaltende Intelligenz erkennen. Sie dachte an den Deutschen, den Direktor einer Chemiefirma, den sie auf Zypern verführt hatte. Er hatte eine Glatze und Mundgeruch gehabt. Beim Abendessen hatte er ihr erzählt, wie sehr er die Juden haßte. Und später im Bett hatte er Dinge von ihr verlangt, bei denen ihr fast schlecht geworden war.
    Ihr Taxi fuhr die Edgware Road entlang und bog in die Wohnanlage Sussex Gardens ab. Jacqueline hätte am liebsten die Fassaden abgesucht, um die Wohnung zu finden, in der Gabriel seinen Horchposten eingerichtet hatte. Statt dessen zwang sie sich dazu, Jusef anzusehen. Sie verfolgte die Linie seines Unterkiefers spielerisch mit dem Zeigefinger. »Du bist ein schöner Mann, weißt du.«
    Er lächelte, und sie dachte: Er ist Komplimente von Frauen gewohnt.
    Der Wagen hielt vor seinem Haus. Ein reizloser Wohnblock, ein nüchterner Zweckbau aus den ersten Nachkriegsjahren mit der Atmosphäre einer verfallenden Wohltätigkeitseinrichtung. Jusef half ihr auszusteigen, bezahlte das Taxi und führte sie die wenigen Stufen zum Eingang hinauf. Er ging auf den Fußballen - genau wie Gabriel, dachte sie -, als sei er ständig auf dem Sprung und bereit, sich auf jemanden zu stürzen. Sie fragte sich, ob Gabriel sie jetzt beobachtete.
    Jusef zog seine Schlüssel aus der Tasche, wählte den für die Haustür aus - ein Yale-Schlüssel, stellte sie fest - und steckte ihn ins Schloß. Er führte sie durch den kleinen Vorraum mit schwarzweißem Linoleumboden und eine schwach beleuchtete Treppe hinauf. Jacqueline überlegte, wie er vorgehen würde. Würde er Kerzen anzünden, sanfte Musik auflegen und eine Flasche Wein aufmachen? Oder würde er die Sache direkt und nüchtern angehen? Kamen sie ins Gespräch, konnte sie vielleicht etwas über ihn erfahren, das Gabriel nützen würde. Sie würde versuchen, die Verführung noch etwas länger hinauszuzögern.
    An seiner Wohnungstür benutzte Jusef einen weiteren Yale-Schlüssel, um das Sicherheitsschloß aufzusperren, und einen altmodischen Bartschlüssel fürs eigentliche Türschloß. Drei Schlösser, drei einzelne Schlüssel. Kein Problem.
    Sie betraten die Wohnung, in der kein Licht brannte. Jusef schloß die Tür. Dann küßte er sie zum ersten Mal.
    »Das wollte ich schon den ganzen Abend tun«, sagte Jacqueline. »Du hast so schöne Lippen.«
    »Ich wollte den ganzen Abend schon viel mehr tun.«
    Er küßte sie wieder. »Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?«
    »Ein Glas Wein wäre schön, wenn du welchen hast.«
    »Ich denke schon. Laß mich nachsehen.«
    Er schaltete eine Lampe ein, eine billige Stehlampe, und warf die Schlüssel auf einen kleinen Tisch neben einem Sessel. Jacqueline stellte ihre Umhängetasche daneben. Dank Schamrons Ausbildung wußte sie, was sie zu tun hatte. Sie sah sich rasch um. Dies war die Unterkunft eines intellektuellen Revolutionärs, ein spärlich möbliertes, funktionelles Basislager. Drei billige Orientteppiche bedeckten den Linoleumboden. Der Couchtisch bestand aus einer großen quadratischen Preßspanplatte auf vier grauen Hohlblocksteinen, die von einem Quartett aus nicht zusammenpassenden Sesseln umgeben waren. In der Tischmitte stand ein Aschenbecher von der Größe eines Eßtellers, in dem Zigarettenstummel mehrerer Marken lagen. Einige trugen Lippenstiftspuren - in zwei verschiedenen Farbtönen. Um den Aschenbecher herum stand ein halbes Dutzend Mokkatassen; der Kaffeesatz darin erinnerte sie an Rorschach-Tests.
    Sie wandte ihre Aufmerksamkeit den Wänden zu. Dort hingen Poster von Bob Marley und Che Guevara, ein weiteres von Tommie Smith und John Carlos, die 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexico City ihre behandschuhten Fäuste in die Höhe reckten. Außerdem eine schwarzgrünrote Palästinenserfahne und ein Farbdruck eines Gemäldes, auf dem eine Dorfschöne am Abend vor ihrer Hochzeit von anderen Frauen gebadet wurde.Sie erkannte es als ein Gemälde von Ibrahim Ghannan. Überall lagen Bücher, teils aufgestapelt, teils in

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