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Der aufziehende Sturm

Der aufziehende Sturm

Titel: Der aufziehende Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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seine gesunde Hand hielt den Stumpf hinter seinem Rücken. Sein Mantel lag zerknittert auf dem Boden, und er stand nur in Hemdsärmeln da. Ein kühler Wind blies herein und bewegte sein Haar.
    Cadsuane ließ den Blick durch das Zimmer schweifen, hinter ihr im Korridor fingen die Weisen Frauen an, die Töchter zur verhören. »Nun?«, sagte sie. »Was ist passiert?«
    Min schaute auf. An ihrem Hals zeigten sich rote Abdrücke, der Anfang von Schwellungen. Rand wandte sich nicht vom Fenster ab. Unverschämter Junge, dachte Cadsuane. »Sagt schon, mein Junge! Wir müssen wissen, ob das Lager in Gefahr ist.«
    »Die Gefahr ist beseitigt«, erwiderte er leise. Etwas an seiner Stimme ließ sie zögern. Sie hatte mit Zorn gerechnet, vielleicht auch Zufriedenheit. Auf jeden Fall Erschöpfung. Stattdessen klang seine Stimme kühl.
    »Wollt Ihr mir erklären, was das zu bedeuten hat?«, verlangte Cadsuane zu wissen.
    Endlich drehte er sich um und sah sie an. Unwillkürlich machte sie einen Schritt zurück, auch wenn sie nicht zu sagen vermochte, warum sie das tat. Er war doch noch immer der gleiche dumme Junge. Zu groß, zu selbstsicher und zu stur. Aber jetzt zeigte er eine seltsame Ruhe, die einen finsteren Unterton hatte. Wie die Ruhe, die man in dem Moment in den Augen eines Verurteilten sehen konnte, in dem er vor die Schlinge des Henkers trat.
    »Narishma«, sagte Rand und sah an ihr vorbei. »Ich habe ein Gewebe für Euch. Prägt es Euch ein. Ich werde es Euch nur einmal zeigen.« Und er brachte die Hand nach vorn, und ein Streifen aus grellem weißen Feuer schoss zwischen seinen Fingern hervor und traf den Mantel auf dem Boden. Er verschwand in einer Lichtexplosion.
    Cadsuane zischte. »Ich habe Euch doch gesagt, dass Ihr dieses Gewebe niemals benutzen sollt, mein Junge! Ihr werdet das nie wieder tun! Habt Ihr mich verstanden! Das ist kein ...«
    »Das ist das Gewebe, das wir beim Kampf gegen die Verlorenen benutzen müssen, Narishma«, sagte al'Thor und übertönte schneidend Cadsuanes Stimme. »Töten wir sie irgendwie anders, können sie wiedergeboren werden. Es ist ein gefährliches Werkzeug, aber es ist bloß ein Werkzeug. Wie andere auch.«
    »Es ist verboten«, sagte Cadsuane.
    »Ich habe entschieden, dass es das nicht ist«, erwiderte al'Thor ruhig.
    »Ihr habt ja keine Ahnung, was dieses Gewebe anrichten kann! Ihr seid ein Kind, das mit ...«
    »Ich habe Baalsfeuer Städte vernichten gesehen«, sagte al'Thor mit gehetztem Blick. »Ich habe gesehen, wie seine reinigenden Flammen Tausende aus dem Muster brannten. Wenn Ihr mich als Kind bezeichnet, Cadsuane, was sind dann diejenigen von Euch, die tausende Jahre jünger als ich sind?«
    Er erwiderte ihren Blick. Beim Licht! Was war mit ihm passiert? Sie kämpfte darum, ihre Gedanken zu sammeln. »Also ist Semirhage tot?«
    »Schlimmer als tot«, erwiderte al'Thor. »Und in vielerlei Hinsicht viel besser dran, schätze ich.«
    »Nun denn. Dann können wir ja wohl weiter ...«
    »Erkennt Ihr das, Cadsuane?«, fragte al'Thor und wies mit dem Kopf auf etwas Metallisches, das zur Hälfte von den Laken verborgen auf dem Bett lag.
    Zögernd setzte sie sich in Bewegung. Sorilea schaute mit einem unleserlichen Ausdruck zu ihr herüber. Offensichtlich wollte sie nicht in diese Unterhaltung verwickelt werden, wenn al'Thor in dieser Stimmung war. Cadsuane konnte es ihr nicht verdenken.
    Sie schlug das Laken zurück und enthüllte ein bekanntes Paar Armreife. Einen Kragen gab es nicht.
    »Unmöglich!«, flüsterte sie.
    »Das habe ich mir auch gedacht«, sagte al'Thor mit dieser schrecklich ruhigen Stimme. »Ich habe mir gesagt, dass es unmöglich dasselbe Ter'angreal sein kann, das ich Euch übergab. Ihr habt versprochen, dass man es beschützen und verbergen würde.«
    »Nun ja«, sagte Cadsuane verunsichert. Sie verhüllte die Dinger wieder. »Dann ist das ja geklärt.«
    »Das ist es. Ich habe jemanden in Euer Zimmer geschickt. Verratet mir doch, habt Ihr die Armbänder in diesem Kasten aufbewahrt? Wir fanden ihn geöffnet auf dem Boden Eures Quartiers liegen.«
    Eine Tochter brachte einen vertrauten Eichenkasten. Es war offensichtlich derselbe. Wütend fuhr Cadsuane zu ihm herum. »Ihr habt mein Zimmer durchsucht!«
    »Ich wusste nicht, dass Ihr die Weisen Frauen besucht«, sagte al'Thor. Er schenkte Sorilea und Amys ein knappes respektvolles Nicken, das sie zögernd erwiderten. »Ich schickte Diener, um nach Euch zu sehen, da ich die Befürchtung hatte, Semirhage hätte

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