Der Augenblick der Liebe
verantwortlich für alles, was Freud je gedacht und geschrieben habe. Das, potenziert durch die Energie-zufuhr des jüdischen Glaubens an die Erlösbarkeit. Und daß
für Erlösung nicht dies und das gut sein kann, sondern
immer nur eins. Die Psychoanalyse als der säkularisierte
Monotheismus. Und Beate ist Madelons aktuelles Studien‐
objekt. Dr. Douglas lachte zwar, aber sie spürte, daß er Madelon Pierpoint als Kampfansage verstand. Da kämpften
zwei um sie. Und sie? Wartete darauf, von Herrn Zürn‐Krall
zu hören, daß er auch ein bißchen um sie kämpfte.
Sie beneidete Madelon. Die forschte, wühlte, formulierte,
schrieb, es ging immer um ihr Leben. Madelon, Geliebte
eines Ingenieurs. Ein Environmental Analyst, einer der Stars
des carolinischen Scientific Triangle, das das Silicon Valley übertreffen wollte. Er entwickelte Methoden und Maschinen,
mit denen man das Wasser unvorstellbar sauber machen
konnte. Für die Chip‐Produktion bei Texas Instruments. Sie, als Madelons engste Freundin, durfte den Eindruck haben,
Madelon schreibe ihre Doktorarbeit gegen diesen Brian
Dewey, der, nebenan in Durham, Weib und Kind hat und
11 Angestellte, 3 Häuser, 3 Autos, 1 Cessna, zweimotorig, und in Chapel Hill 1 Geliebte, die er zweimal im Monat von
Louis, seinem farbigen Fahrer, irgendwohin holen läßt, und seiʹs zum Flugplatz, daß sie mit einander auf die Virgin Islands flögen und Madelon dann zurückkäme, von St.
Thomas schwärmend, einer mit dichtgrünem Pelz bewach‐
senen Insel, die in sanften Küstenlinien den schmalweißen Strand bietet, gehörend zu den sieben schönsten Stränden
der Welt. Oder einfach mal schnell nach Tangier Island
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rüber, Chesapeake‐Bay‐Crabs essen und zurück, nur um eine
erregende Beweglichkeit zu erleben. Ans Verrückte gren‐
zende Unternehmungen, das ist Brians Spezialität. In der
ersten Stunde sind Brians Haare immer total elektrisch gela‐
den, weil er gerade noch vier Stunden lang telephoniert hat.
Er fährt sich quer durch die weichreichen Haare, dann knis‐
tert das, Madelon gehtʹs durch und durch. Am erstaun‐
lichsten: daß Madelon immer noch hoffte, Brian werde sie eines Tages heiraten. Inzwischen hatten beide Brian‐Söhne
den Pilotenschein. Madelon wird das dargeboten, als solle oder könne sie teilnehmen am Vaterstolz. Und sie tutʹs. Ob er
sie nach Surf City schleppt oder überʹs Meer hinaus, er bringt
es ihr dar. Und sie nimmtʹs. Nur wenn er seinen Hund
Jonathan mitbringt und mit ihr und Jonathan nackt in den Whirlpool will, streikt sie. Oh Madelon! Wie soll man ihr sagen, daß diese Affäre aussichtslos ist?! Eine Affäre ist eine
Affäre, auch wenn sie zehn Jahre dauert. Beate hatten drei Jahre gereicht. Allerdings hatte Gert Laubenthal ihr zwei Jahre lang erfolgreich verschwiegen und verheimlicht, daß er
seit Jahren verlobt war. Es war tatsächlich Rick Hardy gewesen, der immer über alle alles erkundete und sein Wissen
karrierefördernd verwendete, er hatte ihr den sogenannten
reinen Wein eingeschenkt über ihren Liebsten. Aber weder
Gert noch sie konnten auf einander verzichten, nur weil jetzt
eine Verlobte mitverkraftet werden mußte. Im Gegenteil.
Ihre Liebe, oder das, was sie dafür hielten, flammte auf, Gert
versprach, sich baldigst zu entloben, sie wurde sogar
schwanger, aber damit wäre sie für das Ph.‐D.‐Programm
ausgefallen, also Abtreibung, und ist als Schwangere noch mitmarschiert beim Anti‐Abortion‐Clinic‐March, aber Gert,
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der Deutschland nachts verlassen hat, nachdem er mitten in
Köln einen Unfall verschuldet hatte und unter Schock über die Grenze floh und sich dann nie mehr zurücktraute, dieser
Erfahrungsgesättigte und inzwischen Assistant Professor
Gewordene hat ihr zur Einsicht verholfen, wie unreparierbar
der Karriereknick durch ein Kind werden müßte, also hinein
in den Warteraum der Illusionen, danach war Gert so lieb wie noch nie, Häuser angeschaut, Möbel beguckt für den
Livingroom, dann teilt ihr der immer aufmerksame Rick mit,
daß Gert seine Verlobte inzwischen geheiratet hat. Immerhin
konnte sie jetzt nichts mehr essen. Eine Zeit lang. Acht Tage
vor Gerts Hochzeit waren sie noch mit einander im Bett
gewesen. Und sechs Wochen nach der Hochzeit auch wieder.
Es war das Telephon, das sie wieder zusammenbrachte.
Dann gebar Gerts Frau. Das warʹs. Jetzt ging nichts mehr.
Auch das Essen ging nicht mehr. Anorexie. Behandlung.
Also Dr. Douglas. Ihm
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