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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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ins mildeste biogra‐
    phische Tageslicht. Das kam ihr gerade recht. Sie servierte 82
    ihm sofort den Traum der letzten Nacht. Die Douglas‐
    mäßigen free associations konnte sie sich diesmal (oder für immer) ersparen. Also: Sie war auf einem Bahnhof, Typ
    Central Station N.Y., sie verabschiedete sich zärtlich von einem Mann, stieg ein, ihr folgte ein anderer Mann, der die Verabschiedung beobachtet hatte, er trug ihre zwei grell-roten Taschen hinter ihr in den Zug, er war der Typ Priester,
    er sei, sagt er, nur für das Gepäck in den Zug gestiegen, er muß den Zug wieder verlassen, aber dann küßt er sie, sie küßt ihn, er sagt, er werde mitfahren, sie erschrickt, darauf er: Wenigstens ein paar Stationen. Dazu teilt die Traum-lieferantin mit: Die Abwehr einer an Freud geschulten
    Traumauslegung empfinde sie als eine Ablehnung ihrer
    wissenschaftlichen Arbeit überhaupt. Sie soll pur daher‐
    kommen, ja! In ihr rege sich eine ursprüngliche Wut. Auf den Priester. Aus Deutschland. Sie hatte nämlich gedacht, sie, sie beide, könnten das Persönliche und das Berufliche auseinanderhalten. Andererseits würde sie gern, gesteht sie,
    für ihr Berufliches (La Mettrie in Deutschland) von ihm
    persönlich Energien empfangen. Schon wieder empfangen.
    Demnächst wird sie, um sich La Mettrie unverstellt widmen
    (hingeben!) zu können, ihren Eisprungtag mitteilen. Und: ob
    diesmal links oder rechts. Aber daß sie (er und sie) ihr Laienspiel auch als Traumspiel betreiben können (eine Zeit lang!), glaubt sie schon. Hat doch der Körperpatron Julien sie
    wissen lassen, daß die Träume die treuen Überbringer der Ideen vom Tage seien. Nun kauen Sie mal! Ohne Freud‐Zähne!
    Bei der Graduate‐Party kamen auch die Telephonkosten
    dran. Die Neulinge wollten die hiesigen Billigtarife wissen.
    Von Deutschland aus 10 Minuten 30 Euro. Sie erschrak.

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    Soviel Geld für eine Frau, die er noch gar nicht kennt. Sie wird, sollte er je neben ihr liegen, nie einschlafen. Sie muß Augenblicke sammeln. Für immer. Sie hat gestern Alles Eins
    wieder gelesen. Das hat keiner so ansprechend, einnehmend
    gesagt wie er: Worin La Mettrie nicht übertroffen werden kann. In der Instinktsicherheit. Nicht mehr zu sagen, als man
    erfahren kann. Etwas, was man nicht, noch nicht wissen
    kann, nicht mit Wörtern zuschmieren, die so tun, als wisse man das, was man nicht, noch nicht wissen kann. Beleg und
    Beweis: Leibniz. Über den sagt der Patron: Er hat die Materie spiritualisiert, statt die Seele zu materialisieren. Aber Gottlieb W.
    hat es erlebt und berichtet, wie Bewegung und Empfindung
    einander hervorbringen. Sie liest und liest. Ist hochbewegt.
    Also empfindlich. Sie hört die Grillen und macht eine Erfah‐
    rung und weiß, daß diese Erfahrung niemanden interessiert.
    Zur Zikadenmusik möchte sie jetzt ihn anrufen, nur um auch
    noch das Überseerauschen zu hören, zum Zikadenschwall.
    Sie weiß, daß alles, was sie jetzt denkt und tut, nichts ist als die Feier seiner Nichtanwesenheit.
    Der Sexual Harassment Officer rief an. Rick Hardy hat alles
    als joke erklärt. Sollte, was er als Witz und Parodie und Unterhaltungsbeitrag gedacht hat, falsch verstanden, also für
    ernst gemeint gehalten worden sein, tut ihm das awfully
    leid. Er ist bereit, für die Stiftung eines solchen Mißverständ‐
    nisses jede Buße zu tun, die die Mißverstehende billigerweise
    von ihm fordern könne. Sie rief den Officer an und sagte, sie
    ziehe ihr Schreiben zurück, da sie sich für eine Auseinan-dersetzung nicht stark genug fühle. Das kam ihr diplo‐
    matisch vor.

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    Von Dr. Douglas geträumt. Sie fühlte seinen muskulösen
    Nacken. Seine Wohnung, ein Antiquitätengeschäft. Die Um‐
    armung, leidenschaftlich. Er führte sie zur Couch. Weiterhin
    leidenschaftlicher Verlauf. Er, tätowiert, amputiert, Stumpf hier, Stumpf da, Vietnam‐Veteran. Sie hat einfach keinen
    Bock, die counter transference‐Bildchen in Deutschlands
    Süden zu mailen. Aber daß sie sich im Traum bewies, sie könne Ekelerregendes deftig lieben − was beweist das dem German Other? Viel! Alles nur Kastrationskomplex, wa!
    Nicht: Penis weg! Sondern: Phallus runter! Welch eine
    Sklaverei. Unter Wörtern gehen wie unterm Joch. Jede
    Bewegung schmerzt, weil die Vokabularketten scheuern. Da
    soll jemand zu sich kommen! Und wo kommt er hm? Zu
    Vokabeln! Das, was man außen trägt, kann dadurch, daß
    manʹs wählt, zusammenstellt und dann trägt, zu etwas
    erträglich Eigenem werden.

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