Der Augenblick der Liebe
Aber wieviel Fremdwörter kann
man sich einverleiben (!), ohne sich innen fremd zu werden?
Sie will undankbar sein. Das importierte Innen‐Dress
verbindet sich nicht mit ihr selbst. Seelische Immunreaktion.
Es wird ihr abverlangt, sich zu unterwerfen, das ist der Preis
für Schutz und Halt, nur um diesen Preis können die Herren
väterlich werden und wirken. Seit die von Glen O. angeregte
Panik in ihr so grassiert, daß sie jede Nacht auflodern und schlafvernichtend weiterlodern kann bis in den Morgen,
sucht sie im Gedankengespräch mit ihrem German Other
Schutz, Zuflucht, Bleibe. Das sollte sie nicht. Und wenn sieʹs
tut, sollte sieʹs ihm nicht auch noch hinreiben. Ihm zu gestehen, wie schwer es ihr fällt, ihm etwas nicht zu
gestehen! Neben ihrem Bett steht, gerahmt hinter Glas, das Photo von ihrer Graduation. Vassar College. Siebzig Meilen 85
nördlich von N.Y. Sie zwischen den Fakultätsroben und den
B.A.ʹs. Sie direkt neben der Vassarpräsidentin Virginia B.
Smith. Tröstlich dick. Der Zigarettenreklamespruch Virginia slims war immer präsent. 650 B.A.ʹs. Sie, die einzige Magis-terin. In schwarzer Robe. Unterm Magisterhut mit schwarzer
Quaste. Nach der Zeremonie bemerkte sie, an sich hinunter‐
schauend, daß sie links einen dunkelblauen Schuh anhatte
und rechts einen schwarzen. Eigentlich ist das so geblieben.
Panik vor der nächsten Hürde. Springreiterei forever. Dieses
Murksen und Placken in der ersehnten sommerlichen
Einsamkeit. Neid auf die Verreisten. Auf dem Balkon, das Blumenmeer als Ersatz. Madelon redet (beim Essen, im
Restaurant) ununterbrochen und laut. Der totale southern
drawl, alle schauen her, ihr egal. Sushi samplers und
California rolls nimmt sie nicht wahr. Zuletzt gingʹs gegen Freud, weil er den Frauen weniger Über‐Ich zugesteht als den Männern. Themire dachte natürlich sofort daran, daß ihr
German Other sie des öfteren gern älter hätte. Warum, fragt
sich Themire. Schreibt sie ihm zu unreifgirliehaft und
unintellektuell, oder was?! Warum soll sie älter sein? Nur daß sie älter wäre? Ja?! Näher dran an ihm? Oder gehtʹs doch
um ihre Unentwickeltheit überhaupt? Oder Freudisch: Ihre
Unentwickelbarkeit überhaupt. Denn: Wieso soll sich eine
überhaupt entwickeln ohne ein sie andauernd hochpeit‐
schendes Über‐Ich?! Nicht wahr!
980 F. 70% Feuchtigkeit. Der Ventilator rauscht. Sie wird sich jetzt doch noch in die Sonne legen. Gestern auch schon.
Ja‐aa! Die allzu bleiche Haut ist getönt. Bronze. Die Haare heller. Honigblond, sagte einmal Glen O., aber er ist, wie alle
wissen, farbenblind. Allwissend, aber farbenblind. Und
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vernichtend freundlich. Dabei bleibt sie. Panic‐stricken. Sie nennt ihre Haarfarbe puddle blond. So sind hier Pfützen
nach jähem Regen, alles, was zwischen braun und beigegrün
möglich ist. Morgen, Termin bei Dr. Douglas. Morgen ist
inzwischen heute. Um 8 Uhr 30 auf die Couch. Nicht einschlafen. Der Kopf nie so leer wie dienstags 8 Uhr 30. Nichts‐
sagenkönnen ist gleich Schweigen ist gleich Widerstand.
Und abends ins Bistro mit Jeffrey. Ach, er kennt Jeffrey noch
nicht. Der hat gelegentlich keuschen Unterschlupf gesucht
bei ihr, obwohl er, verglichen mit ihr, feudal wohnt. Er hatte
monatelang die Asche seines Vaters bei sich im Apartment, er sollte sie, im Auftrag der Familie, nachts auf dem Green ausstreuen; der Vater hat hier studiert und lebenslang vom Campus geschwärmt; sie hat Jeffrey, der ängstlich ist,
geholfen, praktisch hat sie in mondloser Nacht die Alumnus‐
Asche gestreut; daß ihr German Other weiß, was ein
Alumnus ist, unterstellt sie, und mit Jeffrey, dem Ängstlichen, ißt sie heute.
Musik und Mordgedanken. Die Musik (Supremes) extra laut, daß die Sittiche, die sie gerade wieder in Vollpension hat, nicht zu hören sind. Geträumt: Sie beide in einem großen
Raum, übervoll von Menschen. Sie entfernen sich immer
mehr von einander, aber sie verständigen sich wortlos, mit den Augen. Jeder weiß genau, was der andere denkt. Kann etwas schöner sein. Jeder denkt das Wort: liebestoll. Geweckt
von den lärmenden Sittichen. Vergessen gehabt, die Decke
über den Käfig zu legen, daß das Dunkel die noch eine Zeit
lang getäuscht hätte. Das hat ihr natürlich, als sie bei ihm im
Gang über den Morgenlärm der Sittiche gejammert hat, Rick
Hardy geraten. Er ist nicht wie Glen O. ein Allwissender, 87
sondern ein Alleswisser. Gottliebs Hände! Nicht ums
Verrecken liefert
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