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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Herkunftsfamilien, in beiden Familien gab es über
    die Gegend hinaus bekannte Naturheilkundige. Der letzte,
    ein Vetter Leonhard aus Simmerberg oder, wie er sich selber
    nannte, Leonhard von Simmerberg, der ist ins Haus gekom‐

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    men, hat die verstörte Regina geheilt, Anna hat sich, bevor sie ihre Ausbildung begann, für drei Wochen bei ihrem
    Vetter Leonhard in Simmerberg einquartiert und hat von
    dem alles übernommen, was sich bei dem aus den Natur‐
    heiltraditionen ihrer und seiner Familie angesammelt hat. Sie
    hat von ihm, weil er sich zu alt fühlte, den Leinensack und die Kupferrute übernommen. Hat aber vom Pendel‐Lehr-gang in Einsiedeln die Techno‐Version der Rute mitgebracht:
    Doppelantenne mit Kugelgelenk. Und als sie beobachtet
    hatte, daß Magda nur noch kauernd schlief, die Beine ange‐
    zogen, Knie fast am Kinn, hat sie gependelt, danach das Bett
    einen Meter verschoben, Magda schlief ab sofort gestreckt.
    Es gehört sicher nicht zum Beweisbaren und trotzdem ist es
    Faktum: Anna hält andere dadurch am Leben, daß sie an sie
    denkt. Beate lachte und sagte: Dann kann sie durch
    Darandenken auch töten. Gottlieb sagte: Logisch.
    Es war dann eine gewaltige Halle, japanisch geleitet,
    Gemüse und Früchte in farbigen Bergen. Dazwischen Kraut
    zu finden, war nicht leicht. Daß es so viele Früchte und Gemüsearten gibt, die er noch nie gesehen, deren Namen er
    noch nie gehört hat! Aber sie fanden das Kraut. Und keine Apotheke gesucht. Ihm genügte es, Bescheid zu wissen. Aber
    im Hotel suchte er im Webster idiopathic. Da stand: Gr.
    Idiopatheia, feeling for oneself alone, designating or of a disease whose cause is unknown or uncertain. Beate bat er, daß sie zum Abendessen in den Faculty Club gehe. Sie gehört zum staff.
    Das muß sie demonstrieren. Sie darf nicht als Kranken‐
    wärterin des deutschen Durchgefallenen figurieren. Er
    werde, egal, wie seine Stimmbänder sich benähmen, an
    keiner Veranstaltung, auch an keinem Essen mehr teilneh‐

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    men. Bitte, keine Mitleidsgesten jetzt. Er fühlt sich im Zimmer wohl, vielleicht geht er noch über die Straße in ein Bistro. Sie soll dort bleiben, solange das dort geht. Beate wollte das nicht einsehen. Wenn er fernbleibe, demonstriere
    er eine Niederlage, die es nicht gab, dank Patricia. Er muß mit hinüber, Patricia umarmen, hellauf lachen über die
    dümmliche Polemik dieses und jenes Teilnehmers, vor allem
    über die unfaire Moderationspolitik Rick Hardyʹs. Gottlieb deutete auf seinen Hals. Lachen, hellauf, womit?!
    Sie ging, sagte aber, daß sie sich nur noch darauf freue, zurückzukommen. Sobald sie in ihrem Zimmer sei, rufe sie an und bitte ihn dann, flehe ihn dann an, sofort zu ihr hinüberzukommen. Zur Hauptsache, sagte sie und lächelte
    lasziv, aber so, daß klar wurde, sie parodiere eine Film-prostituierte, aber es sei ihr auch danach.
    Er konnte sich nicht entschließen, sich jetzt einen Krautwickel anzutun. Er rief das Lufthansa‐Büro an und verlegte den Rückflug vom 13. April auf den 6. April. Exchange fee 150 Dollar. Es war, als habe er eine Last abgeworfen. Er hätte
    fast übermütig werden können. Am liebsten hätte er
    gepfiffen. Aber summen mußte er. Anna informieren, nein,
    das noch nicht. Zuerst mußte er Beate mit diesem Datum
    vertraut machen. Sie würde protestieren. Mehr als protes‐
    tieren. Diese Umbuchung war aber notwendig geworden.
    Wenn er je mit sich selber übereinstimmte, dann jetzt. Er würde mit Beate am Sonntagabend nach Chapel Hill fliegen,
    wie geplant. Aber dann, statt zwei Wochen, eine. Diese
    Woche würde ihm schwer genug fallen. Das hatte nichts
    oder wenig zu tun mit der Reaktion auf seinen Vortrag.
    Auch wenn sie ihm zugejubelt hätten, hätte er umbuchen

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    müssen. Die Niederlage in der Dwinelle Hall kann er
    ertragen, er muß sie nicht mildern. Ein Deutscher will den Deutschen mit Hilfe des radikalen Moralrealisten La Mettrie
    einen Freispruch erschwindeln! Daß La Mettrie auch für
    Deutsche in Frage kommen muß, darf er gar nicht denken.
    Hat er auch gar nicht gedacht. Darauf hat ihn erst Mr. Hardy
    gebracht. La Mettrie behauptet, es gebe nichts Unmensch‐
    licheres, nichts Lebensfeindlicheres als remords. Das würde natürlich auch für den Umgang der Deutschen mit ihrer
    Vergangenheit gelten. Aber das hat er nicht gesagt. Er müßte
    dann nachweisen, daß es eine Schuld gibt ohne Schuld‐
    gefühle. Kein bißchen weglügen, nichts verkleinern, und
    trotzdem kein

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