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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Schuldgefühl, keine remords. Das ist ein
    anderer Vortrag. Ein Vortrag, den er nicht gehalten hat, den
    zu halten er nicht wagen kann. La Mettrie hatte keine
    Erfahrung mit dem Gedächtnis. Inzwischen wacht das
    Gedächtnis über das Gewissen. Ob das lebensfeindlich ist, ist
    dem Gedächtnis egal.
    Im Bistro aß er eine Salatplatte und ein Pastrami‐Sandwich
    und trank ziemlich viel Bier. Dann kaufte er sich noch eine Flasche Bourbon. Den würde er an diesem Abend trinken.
    Ihm war nach Bewußtlosigkeit. Er war zwar ganz und gar
    einverstanden mit sich, aber er wußte nicht, wie er sich anderen verständlich machen sollte. Beate, zum Beispiel. Am
    liebsten hätte er Beate jetzt einen Abend lang, eine Nacht lang von Anna erzählt. Er mußte ihr den Traum erzählen, den er noch in der letzten Nacht daheim geträumt hatte: Er sah sich scheißen, sollte in ein tuchenes Gefäß treffen, verfehlte es, aber Anna zog seine Kotstange durch die
    Tuchwand durch, alle Unreinlichkeit war vermieden. Sobald

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    sie sein Zeug durch die bereitwillig sich öffnende Tuchwand
    durch hatte, fing sie an, mit ihren Händen in dem Kot zu fingern, zu suchen und dazu sagte sie: Oh, was haben wir denn da? Bei wem war er denn jetzt wieder? Und hatte
    offenbar Beweise in ihren Händen, Beweise für seine
    Untreue mit einer Frau, die zu nennen nicht mehr nötig war.
    Nach diesem Traum war Gottlieb in einer Stimmung
    vollkommener Trostlosigkeit aufgewacht. Er fieberte sozu‐
    sagen Tag und Nacht seinem Abflug entgegen. Dann dieser
    Traum. Dieser Traum vernichtete alles.
    Jede Zukunft. Jede Gegenwart. Er wußte nicht, warum.
    Aber er fühlte sich vernichtet. Anna hatte das bemerkt, hatte
    gefragt, was ihm fehle. Welch eine Frage, hatte er gedacht.
    Gesagt hatte er: Ein Traum, den ich dir nicht erzählen kann.
    Sie hatte gesagt, sie habe auch geträumt. Da er nicht nach ihrem Traum fragte, hatte sie gesagt, sie wisse, daß ihn ihre
    Träume nicht mehr interessierten, da er jetzt auf andere Träume abonniert sei − womit sie bewies, wie erfolgreich sie
    ihn überwachte −, aber sie sage ihm trotzdem, was sie
    geträumt habe. Sie sei im Traum geohrfeigt worden. Von
    einer ihr unbekannten Frau. Und als sie gefragt habe,
    warum, habe diese Frau gesagt: Weil sie sich von dem habe
    heiraten lassen. Gottlieb hatte gesagt, genauer könne man nicht träumen. Bis zu den ten oʹclock news hatte er die Flasche Jim Beam fast ausgetrunken. Er hatte das Gefühl, der
    Bourbon gebe ihm die Kraft, allein zu sein. Er konnte sich gehen lassen. Er hatte nichts dagegen zu denken, wie er dachte. Wie es dachte. In ihm. Bitte. Ich lasse euch alle köpfen. Nicht gleich. Aber später. Bis dahin schmeichle ich euch. Auf eine begabte Art. Ich will den äußersten Effekt.

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    Kein Argwohn mehr. Ihr müßt mich für total gezähmt
    halten. Ich gehöre dazu. Auf mich kann man sich verlassen.
    Ich trage dazu bei, daß das System erfolgreich ist. Immer noch erfolgreicher. Immer noch legitimer. Vor allem das:
    legitimer. Das ist meine Hauptarbeit: Legitimitätsbeschaf‐
    fung. So gut ich eben kann. Davon lebt ja das System, daß jeder da, wo er leibt und lebt, das Großeganze legitimiert.
    Dann laß ich euch alle köpfen. Das wird eine Überraschung.
    Das hättet ihr nicht gedacht. Andererseits gibt es nichts Konformeres, Typischeres als mich. Macht alles mit und
    sinnt auf Vernichtung dessen, was ihn gemacht hat. Ich
    glaube, ich bin der Inbegriff dieses Systems. Dieser Westwelt.
    Ich bin wahrscheinlich längst Amerikaner. Nicht wirklicher Amerikaner, der daheim ein liebwerter, begabter Nachbar
    ist, sondern System‐Amerikaner, Ideologie‐Fuzzi. Im Reprä‐
    sentanten verliert sich nach oben hin alles, was an Ort und Stelle liebenswürdig war. In mir kommt das System zu sich
    selbst. Die vom System in jedem produzierte Feindseligkeit,
    in mir erscheint sie, bricht sie heraus. Ich werde das Signal geben, auf das hin alle losstürmen, die, ohne sich mit
    einander verständigen zu müssen, gewartet haben. Und in
    einem einzigen Augenblick liegt alles in seinem Blut. Ein Riesenmord in Nullkommanichts. Die Flasche war jetzt leer.
    Wieder dieser Wunsch, Alkoholiker zu sein. Das, was er jetzt
    fühlte, immer zu fühlen. Diese uneingeschränkte Sichselbst‐
    überlassenheit. Nichts Verlogeneres als das Gerede von der Verantwortung. Damit halten sie uns unter der Fuchtel, und
    selber leben sie drauflos. Das ist das Schöne, das Drauf-losleben. Photographiert wird die

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