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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Verantwortungsvisage in
    Hochglanz oder achtbändig.

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    Als sie anrief, ihn hinüberrief zu sich, kam er sich betäubt
    vor. Oder wie betäubt. Er lächelte zwar, als er eintrat bei ihr, aber lebloser als dieses Lächeln konnte nichts sein. Das spürte er. Und sie sah es auch. Er hatte die Bourbon‐Flasche
    in der Hand. Hielt sie gegen das Licht. Da war noch etwas drin. Eine Bourbon‐Flasche ist nie ganz leer. Beate lag auf dem Bett. Im Kimono. Er setzte sich auf den Bettrand, nahm
    ihre Hand wie ein Arzt. Ihr Mund schien jeder Fassung
    entglitten. Zorn oder Tränen, etwas anderes konnte er wohl nicht produzieren in ihr. Lieber Zorn. Er dachte an Anna.
    Das war ihm, als er allein in seinem Zimmer war, gar nicht so deutlich geworden: Er wollte zu Anna. Die im Kimono, da
    auf dem Bett, diese junge Frau produzierte in ihm den
    Wunsch, bei Anna zu sein. Seine Sinne sind seine Philo‐
    sophen!
    Und, sagte er.
    Beim Essen sei nicht mehr über Mr. Krall gesprochen
    worden, kein Wort mehr über Rise to the occasion. Zum
    Glück. William Blondel sei gefeiert worden, Machine and
    Moral. Nur Rick habe, neben ihr sitzend, schnell einmal
    herübergefragt: Lebt er noch.
    Als Gottlieb nach der Flasche greifen wollte, die er auf dem
    Nachttisch abgestellt hatte, war sie schneller als er. Sie setzte die Flasche an den Mund, trank sie aus, als sei es Mine-ralwasser, und sagte: Du kriegst nichts mehr von diesem
    Zeug.
    Er sagte: Zu spät.
    Aber jetzt hatte er eine Rolle. Der Betrunkene. Von lauter Mißlichkeiten getroffen, hat er zur Flasche gegriffen, und jetzt ist er eben betrunken. Sie zog ihn zu sich. Schließlich 182
    hatte er dann doch nichts mehr an. Sie glaubte offenbar fest
    daran, daß ein Mundbehandelter zu allem, was man so von
    ihm verlange, im Stande sei. Er konnte sich nicht verkneifen,
    das mit Hiesigem zu kommentieren. Gottlieb war ja gierig auf amerikanische Prägungen, die im Deutschen nicht zu
    schaffen waren. Tatsächlich interessierte er sich hier weder für Gebäude noch für Brücken, sondern nur für das, was die
    Menschen zu sagen vermochten. Daß er keinmal den
    Investorʹs Business Daily ausließ, war er Anna schuldig.
    Gerade hatte er im Fernsehen einen Ausdruck aufge‐
    schnappt, den er, als Beate sich in ihrer Zuwendung verlor, einfach aufsagen mußte: Oral communication skills.
    Sie ließ sich nicht stören. Also probierte er selber weiter: Oral proficiency. Sie bewies ihm, daß im Augenblick Sprache
    nicht gefragt war. Es siegte das amerikanisch‐erotische
    Leistungsprinzip. Rücklings auf ihm lag sie jetzt. Als komme
    es darauf an, daß sie beide vom selben Punkt aus in den Himmel beziehungsweise zur Zimmerdecke hinauf starrten.
    Und darauf kam es eigentlich auch an. Wie zur Justierung, daß sie wirklich von einem Punkt aus hinaufstarrten, steckte
    sie sich das geträumte Unding hinein. Jetzt waren sie
    aufeinandergenagelt, sahen gemeinsam nach oben. Al‐
    lerdings gab es da oben in der weißen Zimmerdecke nichts zu sehen. Aber das war doch auch etwas. Fand Gottlieb. Und
    als alles offenbar gut ausging, sagte sie: Know the score.
    Gottlieb war zu wenig Sportsmann, um jetzt sofort mit
    Zahlen reagieren zu können, also sagte sie: Fünf zu vier. Für
    sie. Als man wieder bei Atem war und immer noch zur
    Decke statt einander in die Augen schaute, sagte sie, ihre Organisiertheit, La Mettriesch gesprochen, sei schon ein

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    Jammer, ausgerechnet bei ihrer Lieblingsbeschäftigung habe
    sie immer Schwitzhände und diese kalten Füße. Gottlieb
    holte sie schnell neben sich, drehte sich zu ihr hin und küßte
    ihr den Mund zu, daß sie nicht weitere Nachrichten dieser Art spenden konnte. Aber er war auch hingerissen vom Tatsächlichkeitsniveau dieser Mitteilung. Er mußte ihr das auch
    sagen.
    Ich bewundere dich, sagte er.
    Sie: Das darfst du. Besonders wenn du noch dazusagst,
    warum.
    Wenn er es ihr auseinanderlege, Gründe formuliere, bleibe
    von der fühlbaren Wucht seiner augenblicklichen Bewun‐
    derung nur noch eine Inhaltsangabe. Er bewundere sie, weil
    sie durch eine solche glanzlose Mitteilung ihn und sich selber
    geradezu zusammenschmelze. Mehr Intimität als durch eine
    solche Schwitzhände‐ und Kalte‐Füße‐Mitteilung gibt es
    überhaupt nicht.
    Als er ihr und sich seine Hingerissenheit und Rührung so aufsagte, riß er sich noch einmal hin und sie dann auch.
    Diesmal war er es, der sagte: Know the score. Er fand allerdings, es sei höchste Zeit, daß sie wisse, was er hier

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