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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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fühlte,  noch nie gefühlt hatte, mußte sie sagen dürfen. Es ging nicht  darum, ihn glücklich zu machen. Gelogen, eben darum ging  es  doch  überhaupt.  Wenn  ihr  das  gelänge,  würde  er  sie  genau so glücklich machen wie sie ihn. Trotzdem, egal, wie  er  ankommen  würde,  wie  er  sich  dann  fühlen  würde,  sie  mußte  schlicht  loswerden,  daß  sie  so,  wie  sie  jetzt  fühlte,  noch nie gefühlt hatte, daß sie sich also so nicht kannte, also  unsicher  war  hinsichtlich  ihres  Benehmens  ihm  gegenüber,  aber daß ihr das auch egal sein würde, sollte er sie doch am  Arsch lecken oder auch nicht, es muß ein Menschenrecht sein  zu  sagen,  wie  man  im  Augenblick  fühlt.  Basta.  Zuerst  jetzt  der Text. Her mit dem Text.  Entsprechen ist alles.  Ihr schwebte  sofort vor:  Rise to the Occasion.  Und las. 
 
I.  Es  war  einmal  ein  Verbrechen  zu  sagen,  es  gebe  keinen  Gott. Und die, die das sagten, meinten nur, es gebe den Gott  nicht,  der  verkündet  wurde,  gelehrt  wurde,  an  den  zu  glauben Pflicht war, höchste Pflicht. Und wenn es den nicht  gab, gab es überhaupt keinen. Das war die furchtbare Folge  der  Einschränkung  des  Gottlieben  auf  diesen  kirchlich  verschriebenen  Mastergott.  Und  die  Philosophie  war  die  Magd der Theologie. Primus motor immobilis. So durfte man  ihn  schon  nennen.  Dann  kam  La  Mettrie,  der  alles,  was  bisher Gott zugeschrieben worden war, der Natur zuschrieb.  Der  entscheidende  Unterschied  zwischen  Gott  und  der  Natur:  Die  Natur  war  mit  den  Sinnen  erfahrbar,  studierbar,  prüfbar. Und soweit sie nicht erkennbar war, durfte sie nicht  in  den  Dienst  der  Erkenntnis  genommen  werden.  Das  war  die  Leistung  La  Mettries:  nicht  zu  spekulieren.  Er  sagte,  welche  Vorstellungen  von  welchen  Erfahrungen  kommen.  Religion, Moral und Politik müssen nützen, Philosophie muß  die  Wahrheit  sagen.  Man  hat  sich  geeinigt.  Man  hat  die  Sprachgebräuche  jahrhundertelang  kultiviert  zu  dem  einen  Ziel:  wie  kann  das,  was  uns  als  Religion  wichtig  geworden  ist,  so  formuliert  werden,  daß  die  Vernunft  damit  leben  kann. Der studierte Arzt La Mettrie entzieht die Philosophie  diesem Dienst. Die Philosophie hat es nur mit der Natur zu  tun.  Ihr  muß  sie  entsprechen.  Dem,  was  die  Sinne  erfahren  können, muß sie entsprechen. Dann wird sie, hat er zumin dest angedeutet, den Segen, den Religion und Moral stiften,  nicht  nur  nicht  mindern,  sondern  vermehren.  Er  wollte  keinen  Streit.  Es  liegt  in  der  Sanftmut  meines  Charakters  (la  douceur  de  mon  caractére),  jeden  Streit  zu  vermeiden,  solange  es  nicht darum geht, eine Unterhaltung zuzuspitzen.  Aber als Arzt,  der die Natur erforschte, und als Philosoph, der sich verbot,  über  die  Erfahrung  hinauszugehen,  mußte  er  formulieren,  daß  es  im  ganzen  Universum  nur  eine  einzige  Substanz −  in  unterschiedlicher  Gestalt −   gibt.  Und  diese  Substanz,  die  Materie  nämlich,  kann  empfinden,  und  das  nicht  nur  im  Menschen,  sondern  auch  schon  im  Tier,  ja,  die  Materie  ist  sogar gewissensfähig. 
Das  hat  ihm  nichts  als  Hohn  und  Zorn  eingebracht.  Friedrich II. hat ihn aufgenommen und beschützt, als er zum  zweiten  Mal −  diesmal  aus  Holland −  emigrieren  mußte.  Salomon  des  Nordens  hat  er  seinen  Potsdamer  Philoso phenkönig  genannt.  Er  lebe  an  Friedrichs  Hof,  hat  er  bezeugt,  in  einem  Paradies  für  Philosophen.  Er  hat,  so  sanft mütig und lebenslustig er sich fühlte, seine Einsichten immer  auch mit fröhlicher Schärfe formuliert. Nicht streit, sondern  wahrheitssüchtig.  Daß  die  Materie  empfindungs  und  gewissensfähig beziehungsweise daß auch der empfindungs  und  gewissensfähige  Mensch  rein  stofflicher  Natur  sei,  das 

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