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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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wurden gestern zweihundert Blauwale gesichtet. Das hat sie  sofort  als  Signal  empfunden.  Hoffnungsignal.  Also  sind  sie  doch nicht ausgestorben, die Blauwale. Das Wunder von San  Francisco!  Das  heißt,  es  geschehen  noch  Wunder!  Wenn  es  nur  so  wäre:  Er  dürfe  sich,  sagt  er,  um  sich  vor  der  drohenden Zukunft zu schützen, nicht eingestehen, wie sehr  auch er sie braucht, liebt, ersehnt, begehrt. Das heißt, er sei so  schlimmschön dran wie sie. Es darf nur nicht ganz heraus. 
Fernmündlich  kam  manchmal  doch  ganz  schön  was  heraus. Manchmal blutete er doch geradezu. Und sie dachte  und konnte es nicht sagen, daß er Hand an sich legen sollte  und  denken,  es  sei  ihr  Mund.  Und  wie  sie  es,  ihn  her beschwörend,  sich  selber  machte,  konnte  sie  auch  nicht  sa gen. Nichts konnte sie sagen. Was für eine Welt oder Kultur,  in der einem der Mund verschlossen und die Seele vernagelt  ist. Heiliger La Mettrie, du bist nicht schuld daran! Du hast  es  anders  gewollt  und  gesagt.  Aber  gesiegt  haben  die  Vor schriftenmacher!  Die  Quälgeister.  Die  großen  Quälgeister.  Die beherrschen noch immer die Welt. 
Frühlingfrühlingfrühling. So nah war Deutsch ihr noch nie  gegangen.  Wenn  sie  nicht  aufpaßte,  war  sie  gleich  stolz  auf  diese  Sprache;  weil,  glaubte  sie,  Frühling  nirgendwo  offen barender,  und  doch  nicht  flach  werdend,  ausgedrückt  sein  kann. Frühling, ein schöneres Wort dafür konnte es nirgend wo geben. Sie liebte Wörter, die etwas eindeutig offenbarten,  ohne  daß  sie  das,  was  sie  offenbarten,  aussagten.  Eine  Zeit  lang muß es Dichter gegeben haben wie Sand am Meer. Ganz  genau  wie  Sand  am  Meer.  Selbst  als  das  Wort  Behörde  geschaffen wurde, waren noch Dichter am Werk. Nicht mehr  bei  Beschuldigung,  Charakterlosigkeit,  Sittenverfall,  Pflichtver letzung,  Selbstmord  und  dergleichen.  Wohl  aber  bei  Frühling.  Und  bei  fernmündlich  natürlich.  Nur  halb  geglückt  kam  ihr  allerdings  Muttersprache  vor.  Chapel  Hill  flaggte  grün  mit  gewaltigen Bäumen. Und ließ pflichtgemäß die Staatsblume  blühen.  Dogwood.  Sie  wird  ihm  erklären,  was  ihr  der  geborene  South  Caroliner  Rick  erklärt  hatte,  daß  der  Gast  erführe,  wie  man  sich  in  einem  aufgeklärten  Land  etwas  erklärt:  Dogwood  heißt  die  Blüte,  weil  sie  nicht  genug  getrauert hat, als am GolgathaFreitag Trauer angesagt war,  und bis in alle Erdenklichkeit muß jedes ihrer weißen Blätter  das  Profil  der  Nägel  zeigen,  mit  denen  Christus  gekreuzigt  worden ist. Das hat Linné noch nicht gewußt. 
Sie  sei  zu  seiner  Zuflucht  geworden:  Diese  Art  Mitteilung  war  die  Verführung  schlechthin.  Daß  er  sie  brauchte,  wie  sollte sie denn das ertragen, in Ruhe, oder gleichmütig, oder  sonstwie gefaßt? Wie oft würde sie noch, bevor er käme, die  Haare waschen, wie oft noch that time of the month durch stehen,  wie  oft  noch  tanken,  wie  oft  noch  vor  die  Klasse  treten mit dem IchliebeeuchalleGesicht, wie oft noch Glen  O.  Rosennes  NichtLippen  nach  einem  Lächeln  absuchen  und sich in Patricias kurze Arme flüchten? Wie oft noch sich  die Hand von Rick zerquetschen lassen, wie oft noch das und  das,  bevor  er  kommt?  Madelon  gibt¹s  nicht  mehr.  Madelon  hat  sich  verabschiedet.  Plötzlich.  Keine  Dissertation  mehr,  Freud  adieu,  fast  triumphal,  wie  sie  sich  verabschiedet  hat.  Von  der  Abteilung.  Von  ihrer  Freundin  hat  sie  sich  zärtlich  verabschiedet.  Sie  hat  geheiratet.  Ohne  es  wissen  zu  lassen.  Der  Mann  ist  Louis,  der  sie  so  lange  hin  und  herchauffiert  hat, bis es ihm und ihr klar wurde, daß es längst unzumutbar  war,  sich  weiterhin  dem  uninterruptible  power  system  des  Erfinders  hinzugeben,  weil  Louis¹  Augen  ein  Versprechen 

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