Der Augenblick der Liebe
wurden gestern zweihundert Blauwale gesichtet. Das hat sie sofort als Signal empfunden. Hoffnungsignal. Also sind sie doch nicht ausgestorben, die Blauwale. Das Wunder von San Francisco! Das heißt, es geschehen noch Wunder! Wenn es nur so wäre: Er dürfe sich, sagt er, um sich vor der drohenden Zukunft zu schützen, nicht eingestehen, wie sehr auch er sie braucht, liebt, ersehnt, begehrt. Das heißt, er sei so schlimmschön dran wie sie. Es darf nur nicht ganz heraus.
Fernmündlich kam manchmal doch ganz schön was heraus. Manchmal blutete er doch geradezu. Und sie dachte und konnte es nicht sagen, daß er Hand an sich legen sollte und denken, es sei ihr Mund. Und wie sie es, ihn her beschwörend, sich selber machte, konnte sie auch nicht sa gen. Nichts konnte sie sagen. Was für eine Welt oder Kultur, in der einem der Mund verschlossen und die Seele vernagelt ist. Heiliger La Mettrie, du bist nicht schuld daran! Du hast es anders gewollt und gesagt. Aber gesiegt haben die Vor schriftenmacher! Die Quälgeister. Die großen Quälgeister. Die beherrschen noch immer die Welt.
Frühlingfrühlingfrühling. So nah war Deutsch ihr noch nie gegangen. Wenn sie nicht aufpaßte, war sie gleich stolz auf diese Sprache; weil, glaubte sie, Frühling nirgendwo offen barender, und doch nicht flach werdend, ausgedrückt sein kann. Frühling, ein schöneres Wort dafür konnte es nirgend wo geben. Sie liebte Wörter, die etwas eindeutig offenbarten, ohne daß sie das, was sie offenbarten, aussagten. Eine Zeit lang muß es Dichter gegeben haben wie Sand am Meer. Ganz genau wie Sand am Meer. Selbst als das Wort Behörde geschaffen wurde, waren noch Dichter am Werk. Nicht mehr bei Beschuldigung, Charakterlosigkeit, Sittenverfall, Pflichtver letzung, Selbstmord und dergleichen. Wohl aber bei Frühling. Und bei fernmündlich natürlich. Nur halb geglückt kam ihr allerdings Muttersprache vor. Chapel Hill flaggte grün mit gewaltigen Bäumen. Und ließ pflichtgemäß die Staatsblume blühen. Dogwood. Sie wird ihm erklären, was ihr der geborene South Caroliner Rick erklärt hatte, daß der Gast erführe, wie man sich in einem aufgeklärten Land etwas erklärt: Dogwood heißt die Blüte, weil sie nicht genug getrauert hat, als am GolgathaFreitag Trauer angesagt war, und bis in alle Erdenklichkeit muß jedes ihrer weißen Blätter das Profil der Nägel zeigen, mit denen Christus gekreuzigt worden ist. Das hat Linné noch nicht gewußt.
Sie sei zu seiner Zuflucht geworden: Diese Art Mitteilung war die Verführung schlechthin. Daß er sie brauchte, wie sollte sie denn das ertragen, in Ruhe, oder gleichmütig, oder sonstwie gefaßt? Wie oft würde sie noch, bevor er käme, die Haare waschen, wie oft noch that time of the month durch stehen, wie oft noch tanken, wie oft noch vor die Klasse treten mit dem IchliebeeuchalleGesicht, wie oft noch Glen O. Rosennes NichtLippen nach einem Lächeln absuchen und sich in Patricias kurze Arme flüchten? Wie oft noch sich die Hand von Rick zerquetschen lassen, wie oft noch das und das, bevor er kommt? Madelon gibt¹s nicht mehr. Madelon hat sich verabschiedet. Plötzlich. Keine Dissertation mehr, Freud adieu, fast triumphal, wie sie sich verabschiedet hat. Von der Abteilung. Von ihrer Freundin hat sie sich zärtlich verabschiedet. Sie hat geheiratet. Ohne es wissen zu lassen. Der Mann ist Louis, der sie so lange hin und herchauffiert hat, bis es ihm und ihr klar wurde, daß es längst unzumutbar war, sich weiterhin dem uninterruptible power system des Erfinders hinzugeben, weil Louis¹ Augen ein Versprechen
Weitere Kostenlose Bücher