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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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wollte, hat durchgesetzt, daß sie bleiben kann. 
Das Ticket nach San Francisco liegt vor ihr auf dem Tisch.  Billigflug. Daß er jetzt vorsorglich sein Alter grell beleuchtet,  findet  sie  sowohl  lustig  wie  auch  lieb.  Männer  stehen  doch  zu ihrem Äußeren, egal, wie alt sie sind. Sie war zwei Jahre  mit  einem  Mann  zusammen,  dem  es  bei  einem  Autounfall  die Kopfhaut verbrannt hatte, der ein dezentes Haarteil trug,  das sie erst als solches erkannte, als sie von anderen  darauf  aufmerksam gemacht wurde. Genügt ihm das? 
Ob  er  ahnt,  daß  es  Wörter  gibt,  mit  denen  sie  noch  nie  bedacht wurde. Liebes nennt er sie. So hat sie noch niemand  genannt. Und sie mußte nicht lachen. Daß seine Wörter einen  Oberton haben, der aufs zarteste komisch ist, muß er ahnen.  Daß  er  solche  Wörter  trotzdem  benützt,  offenbar  nicht  anders  kann,  als  sie  zu  benützen,  das  geht  ihr  durch  und  durch.  Daß  er  gefürchtet  hat,  die  durch  Magdas  unerklär liches  Verschwinden  entstandene  achttägige  Unterbrechung  des  Telephonierens  und  des  Briefeschreibens  werde  sie  benützen, sich von ihm zu trennen, hat sie eher belustigt als  gerührt.  Danebenen  kann  man  (wenn  er  ihr  diesen  Kom parativ gestattet) nicht treffen. Sie hofft, Magda melde bald,  daß  sie  wohlbehalten  ist.  Vielleicht  hat  sie  sogar  jemanden  getroffen,  der  sie  vergessen  ließ,  wo  sie  zu  Hause  ist  oder  daß es wißbegierige Eltern gibt. Das wünscht ihr die ameri kanische  Geistesschwester.  Tatsächlich  glaubt  sie,  Magda  näher  zu  sein  als  Julia.  Julia  siegt  zu  sehr.  Ach,  nichts  ist  weniger  gefragt  als  ihre  Nähe  oder  Nichtnähe  zu  den  Erztöchtern  Regina  und  Magda  und  Julia  und  Rosa.  Sonntagmorgen.  Bald  auch  im  März.  Um  nicht  über  den  März  hinausdenken  zu  müssen,  weidet  sie  den  März  aus,  fieselt  ihn  ab,  nagt  an  jeder  Minute  herum,  bis  nichts  mehr  dran ist. Zuerst einmal das nicht enden könnende Frühstück.  Sie,  ER  und  SIE ,  mit  der  New  York  Times.  Das  all  American  couple.  Donnerstag,  Freitag,  Samstag,  Sonntag  in  San  Francisco und Berkeley. Nur noch für einander. Geliebtester  Mann.  Aber  wie  lange  kann  er  überhaupt  bleiben?  Solche  illusionsschädigenden  Fragen  werden  nicht  gestellt.  Am  besten,  er  ist  eines  Morgens  abgereist,  sie  sieht¹s,  fällt  in  Ohnmacht  und  erwacht  erst  Jahre  später  aus  ihrem  Koma,  das  allem  Gedächtnis  den  Garaus  gemacht  hat.  Rosig  erwacht sie, im Bergwerk von Chapel Hill. Allen Zeugen ein  Augen  und  Seelenschmaus.  Ihr  erstes  Wort:  La  Mettrie.  Worauf sie für eine Französin gehalten wird. Zweites Wort:  L¹Homme  Machine.  Worauf  sofort  ein  paar  Roboter  herge rufen  werden.  Die  sollen  sich  mit  ihr  beschäftigen.  Und  so  kommt es, daß sich einer der Roboter in sie verliebt, daß sie  heiraten,  Kinder  zeugen,  so  schöne,  wie  sie  nur  in  Misch ehen  gezeugt  werden.  Amen.  Den  ersten  Gewinn  aus  der  MärzTagung: Der Professor wird einsehen, daß sie, um aus  der Tagung noch Nutzen zu ziehen, nicht im Januar, sondern  erst im April drei Kapitel Rohfassung abliefern wird. 
Eine Art count down setzte ein. Sie wehrte sich. Erfolglos.  Sie  hätte  es  lieber  als  Weihnachtskalender  gehabt.  Oder  als  Kalender eines Gefangenen. Jeder Tag ein durchgestrichener  Strich an der Zellenwand. Dieses Panikgefühl, weil sie ihrem  Ersehnten so gut wie nichts verraten hat von sich. Alles, was  sie ihm geschrieben hat hoch zehn, das käme hin. Das würde  er aber nicht ertragen. Das hält kein Mensch aus, daß sich ein  anderer  so  abhängig  fühlt  von  ihm.  Und  das  nach  zweieinhalb  Stunden  Terrasse  und  ein  paar  Monaten  Brief wechsel  und  Telephon.  Vor  San  Francisco,  im  Pacific, 

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