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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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verzieh ihm weder die Kirche noch die Universität. 
Inzwischen  haben  die  Naturwissenschaften  das  Sagen,  wenn  unterschieden  werden  soll  zwischen  unbelebter  Ma terie und Lebewesen. Zirka zwei Milliarden Jahre lang seien  sich,  heißt  es  jetzt,  Nukleinsäuren  und  Proteine  begegnet,  ohne  daß  eine  Zelle  entstanden  wäre,  die  lebend  genannt  werden  könne,  also  eine  Zelle,  die  aus  ihrer  Umwelt  die  Energie  entnimmt,  die  sie  zu  ihrer  Reduplikation  bezie hungsweise  Fortpflanzung  braucht.  Also  zwei  Milliarden jahre  lang  keine  Evolution,  kein  Kampf  ums  Dasein.  Vom  ersten Einzeller bis zum heutigen Menschen dauerte es dann  nur noch eine Milliarde Jahre. Und dieser Mensch wird jetzt  erklärt  mit  einem  genetischen  Code.  Das  ist  ein  Über setzungsschlüssel,  der  angibt,  welche  Nukleinsäureschrift  welcher  Proteinschrift  jeweils  entspricht.  Die  Sprache  der  Naturwissenschaft  kann  uns  Nichtnaturwissenschaftlern  diese  Vorgänge  nicht  ohne  Vergleiche  näherbringen,  die  nicht  mehr  rein  wissenschaftlich  sind.  Leben  habe  nur  ent stehen  können  aus  einer  Arbeitsteilung  zwischen  Proteinen  und Nukleinsäuren, die Zufälle zuließ; die Zufälle heißen in  der für uns bestimmten Sprache Ablesefehler, entstanden bei  der Codierung der Proteinbausteine durch die Nukleinsäure sequenzen.  Und,  heißt  es,  es  bedurfte  ungeheuerlicher  Zufälligkeiten,  daß  sich  der  genetische  Code  durchsetzen  konnte,  der  jetzt  auf  diesem  Planet  bei  allen  Lebewesen  maßgebend  ist.  Und  das  ist  das,  was  La  Mettrie  l¹organisation genannt hat. Manfred Eigen hat es genannt  das  Problem  der  Selbstorganisation  von  Makromolekülen  zu  autoka talytischen  Hyperzyklen.  Das  ist  die  neueste  Sprache  für  die  Erfahrung,  daß  die  Natur  alles  enthält,  was  wir  sind.  Zwei  Milliarden  Jahre  lang  folgenlose  Begegnung  zwischen  Nukleinsäuresequenzen  und  Proteinbausteinen,  dann  kommt  es  zu  einer  Kombination,  zu  kombinierten  Kreisen  aus  DNA Molekülen  und  Proteinmolekülen,  diese  Kreise  werden  als  höhere  Gebilde  geführt.  Reine  DNA Gebilde  konnten  nur  stagnieren.  Hyperzyklen  nennt  Manfred  Eigen  diese  kombinierten  Kreise;  die  Nukleinsäuren  seien  sozu sagen die Legislative, die Proteine die Exekutive bei diesem  Prozess, der jetzt einsetzte und der eben durch weitere Zufäl le  Mutanten  hervorbrachte,  die  mit  einander  um  das  Über leben  konkurrierten.  Der  Zufall,  der  letzten  Endes  zum  einzelligen Lebewesen geführt habe, sei so ungeheuerlich, so  ganz und  gar nicht erwartbar gewesen − dieser Zufall, dem  wir  letzten  Endes  entstammen −,  daß  auch  unter  Natur wissenschaftlern  wieder  eine  Art  Gottliebe  Mitwirkung  gedacht  werden  konnte.  Gott  als  der  geduldigste  Experi mentalphysiker, dem es nach drei Milliarden Jahren gelingt,  ein  Wesen  zu  produzieren,  dem  er  beibringen  kann  (durch  Offenbarung),  ihn  anzubeten.  Aber  auch  diese  frömmeren  Physiker  können  den  universellen  genetischen  Code  nicht  mehr  außer  Kraft  setzen.  Und  wie  hat  es  La  Mettrie  gesagt:  Man sieht, daß es im Universum nur eine Substanz gibt und daß  der Mensch die vollkommenste ist.  Daß alles aus Nukleinsäure sequenzen  und  Proteinketten  entstanden  ist,  hat  La  Mettrie  in  der  auf  Bilder  angewiesenen  Sprache  so  sagen  müssen:  Der Mensch ist aus keinem wertvolleren Lehm geknetet; die Natur  hat nur ein und denselben Teig verwendet, bei dem sie lediglich die  Hefezusätze verändert hat.  
Jeder  Satz  über  La  Mettrie,  der  im  Allgemeinen  endet,  verfehlt  ihn.  Er  beschreibt  die  Wohlgefühle,  die  der  Geist  dem  Körper  bereiten  kann  und  begründet:  ...  denn  ohne  Zweifel  zirkulieren  dessen  Säfte  besser,  wenn  die  Seele  in  ausge zeichneter  Verfassung  ist.  Das  ist  Psychosomatisches,  1748.  Wäre  es  nicht 

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