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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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dem  Wort  kaum  mitgeben.  Und zum Seelischen steht da, daß also die Seele sich bildet,  wie  der  Körper  sich  organisiert.  Also:  daß  die  Seele  jeweils  dem  Körperlichen  entspricht.  Und  deshalb  sah  eben  ein  La  Mettrie  das  Organische  als  das,  von  dem  die  Entwicklung  der Seele bestimmt wird. 
Ein  solches  Angebot  war  keinem  deutschen  Denker  je  beschieden.  Unsere  Sprache  lebte,  wie  es  La  Mettrie  einmal  aus der deutschen Philosophie zitierte, von der  symbolischen  Erkenntnis.  Er aber lebte von der durch die Sinne, durch die  Erfahrung,  durch  das  medizinische  Studium  genährten  Erkenntnis, was eben heißt: wenn die Philosophie noch eine  Magd war, dann nicht mehr die der Theologie, sondern die  der  Natur.  Alle  Fähigkeiten  der  Seele  seien  abhängig  de  la  propre  Organisation  du  Cerveau  et  de  Wut  le  Corps,  qu¹elles  ne  sont visiblement que cette Organisation même. Voilá une Machine  bien  éclairée!  Übersetzt  wird:  Da  aber  alle  Fähigkeiten  der  Seele  so sehr von dem eigentümlichen Bau des Gehirns und des ganzen  Körpers abhängen, daß sie offensichtlich nur dieser organische Bau  selbst sind, so haben wir es mit einer gut erleuchteten Maschine zu  tun.  Daß die Seele nichts ist als die Organisation selbst, diese  Seinsintimität  ist  der  deutschen  Sprache  offensichtlich  nicht  zumutbar. Wenn La Mettrie Materie des Höchsten für fähig  hält,  nämlich  der  Gewissensregung,  ruft  er  geradezu  aus:  L¹Organisation  suffiroitelle  donc  á  tout?  Oui,  encore  une  fois.  Und wieder kann das Deutsche nur hinkend folgen.  Sollte der  organische Bau allem genügen? Noch einmal Ja.  
Der Übersetzer und Herausgeber Bernd A. Laska ist, soweit  ich sehe, der einzige, der gewagt hat, l¹Organisation Organi sation  sein  zu  lassen.  Mit  eindeutschender  Umständlichkeit  wäre  La  Mettries  letzte  große  Schrift,  der  AntiSeneca,  nicht  zu  übersetzen  gewesen.  Das  Glück,  das  aus  unserer  Organisa tion  stammt,  ist  das  beständigste  und  am  schwersten  zu  erschüt ternde.  Oder  über  die  Erziehung:  Alte  Prägungen  sind  schnell  einmal  vergessen.  «Maschinenmäßig»  gewinnt  dann  die  Organi sation zurück, was die Erziehung  ihr geraubt  zu haben schien,  so  als  ob  die  Formung  nach  einem  Ideal  eine  Verformung  gewesen  wäre.  Hier  denkt  man  bei  maschinenmäßig  automatisch  an  automatisch  beziehungsweise  von  selbst.  Wenn  es  einem  Übersetzer  erlaubt  wäre,  ein  Wort  nur  auf  seine  Bedeutung  hin  zu  übersetzen,  dann  wäre  L¹Organisation  am  vollstän digsten mit  Natur  zu übersetzen. 
Manfred  Eigen,  der  gedankenreiche  und  sprachbewußte  Physiker,  hat,  als  er  die  Zusammenwirkung  von  Nuklein säuremolekülen  mit  Proteinmolekülen  bei  der  Entstehung  des  Lebens  beschrieb,  formuliert,  daß  die  Selbstorganisa tionsfähigkeit der Materie bisher eher unter als überschätzt wurde.  La  Mettrie  war  nicht  der  erste  und  nicht  der  letzte,  der  das  Organische  beziehungsweise  die  Natur  zur  Bedingung  für  alles  machte.  Es  gab  vor  ihm  Spinoza,  der  alles,  was  La  Mettrie erlebte und beschrieb, schon systematisch entwickelt  hatte −  die  materielle  Einheit  der  Welt  bis  zur  empfin dungsfähigen  Materie −,  und  er  hat  dafür  genug  Feindseligkeit  geerntet;  aber  er  hat  offenbar  die  Erfahrung,  daß  die  Materie  fähig  ist  zu  empfinden,  nicht  aus  seinem  eigenen  Körper  und  dessen  Bedürfnissen  und  Ansprüchen  abgeleitet.  Er  hat  der  Natur  Gottlieben  Rang  erobert.  Aber  um  sie  so  zu  erhöhen,  brauchte  er  doch  noch  Gott.  Den  braucht La Mettrie nicht mehr. Ohne Gott aktiv zu leugnen,  entwickelt er eine vor Freude und Farben strahlende Welt an  diesem  Mastergott  vorbei:  Deshalb  konnte  Lessing,  der  La  Mettrie als Pornoschriftsteller verachtete, sagen: 

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