Der Augenblick der Liebe
bemüht sein. Er, Dr. Matusaka, kann das organisieren. Seine Diagnose bis dahin: eine idiopathi sche, kryptogenetische Recurrensparese. Beate sagte, das müßten sie und ihr Freund erst einmal verdauen. In Gottlieb war inzwischen ein solches Zutrauen zu diesem zarten Japaner gewachsen, daß es ihn richtig schmerzte, sich jetzt einfach und für immer verabschieden zu müssen. Der gab noch den Rat, einen halben Ton tiefer zu sprechen, sich das anzugewöhnen, immer einen halben Ton tiefer, und er werde sich wundern, wie heilsam das sei. Wir sprächen ja alle andauernd viel zu hoch. Und lächelte. Gottlieb hatte sofort das Gefühl, dieser Rat sei überhaupt das Wichtigste gewesen. Draußen bezahlte er die bescheidene Rechnung. Das Mädchen am Computer druckte, was der Doktor verschrieben hatte, aus und überreichte Beate das Rezept.
Als sie unten auf der Straße waren, bat Gottlieb, Beate möge Passanten nach einem Gemüsesupermarkt fragen. Dazu das Geständnis, daß er Anna angerufen habe. Dazu das Geständnis, daß sich Anna schon vor zehn Jahren zur Heilpraktikerin habe ausbilden lassen, die Prüfung gemacht habe, aber nicht praktiziere. Sie sei einfach neugierig ge wesen, habe das Gefühl gehabt, in der Schule das Wichtigste nicht erfahren zu haben. Sie werde inzwischen von immer mehr Leuten um Rat gefragt. Irgendwann werde sie dafür Honorar nehmen. Der Immobilienhandel profitiere von der Naturheilkunde. Das ist Annas Begabung: zu entdecken, wie Immobilienhandel und Naturheilkunde zusammenpassen. Jeder zweite Kunde ist krank, sagt Anna. Koliken, Magen bluten, Blutspucken, kommt alles vom Penicillin. Und ohne vorherige Auspendelung der Wasseradern, der Kreuzungs quadrate, der Globalgitter und der Diagonalgitter und der HartmannStrahlen übernehme Anna sowieso keinen Auftrag mehr. Jetzt also eine Nacht mit Krautwickel. Das habe Anna, sagte Beate, gegen sie verordnet. Daß er und sie nicht mit einander schlafen können. Eine Nacht weniger. Er mußte Beate aufklären, daß sie wenigstens ahne, wer Anna auch noch ist: Anna hat irgendwann gemerkt, daß sie durch die Schwächen ihres Privatgelehrten genötigt worden war, den Immobilienhandel ernst zu nehmen. Und als das passiert war, ist in ihr per Dialektik die Rettungskraft erwacht und gewachsen: die Naturheilkunde. Völkle und Krezdorn, das sind ihre Herkunftsfamilien, in beiden Familien gab es über die Gegend hinaus bekannte Naturheilkundige. Der letzte, ein Vetter Leonhard aus Simmerberg oder, wie er sich selber nannte, Leonhard von Simmerberg, der ist ins Haus gekom men, hat die verstörte Regina geheilt, Anna hat sich, bevor sie ihre Ausbildung begann, für drei Wochen bei ihrem Vetter Leonhard in Simmerberg einquartiert und hat von dem alles übernommen, was sich bei dem aus den Natur heiltraditionen ihrer und seiner Familie angesammelt hat. Sie hat von ihm, weil er sich zu alt fühlte, den Leinensack und die Kupferrute übernommen. Hat aber vom PendelLehr gang in Einsiedeln die TechnoVersion der Rute mitgebracht: Doppelantenne mit Kugelgelenk. Und als sie beobachtet hatte, daß Magda nur noch kauernd schlief, die Beine ange zogen, Knie fast am Kinn, hat sie gependelt, danach das Bett einen Meter verschoben, Magda schlief ab sofort gestreckt. Es gehört sicher nicht zum Beweisbaren und trotzdem ist es Faktum: Anna hält andere dadurch am Leben, daß sie an sie denkt. Beate lachte und sagte: Dann kann sie durch Darandenken auch töten. Gottlieb sagte: Logisch.
Es war dann eine gewaltige Halle, japanisch geleitet, Gemüse und Früchte in farbigen Bergen. Dazwischen Kraut zu finden, war nicht
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