Der Augenblick der Liebe
leicht. Daß es so viele Früchte und Gemüsearten gibt, die er noch nie gesehen, deren Namen er noch nie gehört hat! Aber sie fanden das Kraut. Und keine Apotheke gesucht. Ihm genügte es, Bescheid zu wissen. Aber im Hotel suchte er im Webster idiopathic. Da stand: Gr. Idiopatheia, feeling for oneself alone, designating or of a disease whose cause is unknown or uncertain. Beate bat er, daß sie zum Abendessen in den Faculty Club gehe. Sie gehört zum staff. Das muß sie demonstrieren. Sie darf nicht als Kranken wärterin des deutschen Durchgefallenen figurieren. Er werde, egal, wie seine Stimmbänder sich benähmen, an keiner Veranstaltung, auch an keinem Essen mehr teilneh men. Bitte, keine Mitleidsgesten jetzt. Er fühlt sich im Zim mer wohl, vielleicht geht er noch über die Straße in ein Bistro. Sie soll dort bleiben, solange das dort geht. Beate wollte das nicht einsehen. Wenn er fernbleibe, demonstriere er eine Niederlage, die es nicht gab, dank Patricia. Er muß mit hinüber, Patricia umarmen, hellauf lachen über die dümmliche Polemik dieses und jenes Teilnehmers, vor allem über die unfaire Moderationspolitik Rick Hardy¹s. Gottlieb deutete auf seinen Hals. Lachen, hellauf, womit?!
Sie ging, sagte aber, daß sie sich nur noch darauf freue, zurückzukommen. Sobald sie in ihrem Zimmer sei, rufe sie an und bitte ihn dann, flehe ihn dann an, sofort zu ihr hinüberzukommen. Zur Hauptsache, sagte sie und lächelte lasziv, aber so, daß klar wurde, sie parodiere eine Film prostituierte, aber es sei ihr auch danach.
Er konnte sich nicht entschließen, sich jetzt einen Kraut wickel anzutun. Er rief das LufthansaBüro an und verlegte den Rückflug vom 13. April auf den 6. April. Exchange fee 150 Dollar. Es war, als habe er eine Last abgeworfen. Er hätte fast übermütig werden können. Am liebsten hätte er gepfiffen. Aber summen mußte er. Anna informieren, nein, das noch nicht. Zuerst mußte er Beate mit diesem Datum vertraut machen. Sie würde protestieren. Mehr als protes tieren. Diese Umbuchung war aber notwendig geworden. Wenn er je mit sich selber übereinstimmte, dann jetzt. Er würde mit Beate am Sonntagabend nach Chapel Hill fliegen, wie geplant. Aber dann, statt zwei Wochen, eine. Diese Woche würde ihm schwer genug fallen. Das hatte nichts oder wenig zu tun mit der Reaktion auf seinen Vortrag. Auch wenn sie ihm zugejubelt hätten, hätte er umbuchen müssen. Die Niederlage in der Dwinelle Hall kann er ertragen, er muß sie nicht mildern. Ein Deutscher will den Deutschen mit Hilfe des radikalen Moralrealisten La Mettrie einen Freispruch erschwindeln! Daß La Mettrie auch für Deutsche in Frage kommen muß, darf er gar nicht denken. Hat er auch gar nicht gedacht. Darauf hat ihn erst Mr. Hardy gebracht. La Mettrie behauptet, es gebe nichts Unmensch licheres, nichts Lebensfeindlicheres als remords. Das würde natürlich auch für den Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit gelten. Aber das hat er nicht gesagt. Er müßte dann nachweisen, daß es eine Schuld gibt ohne Schuld gefühle. Kein bißchen weglügen, nichts verkleinern, und trotzdem kein Schuldgefühl, keine remords. Das ist ein anderer Vortrag. Ein Vortrag, den er nicht gehalten hat, den zu halten er nicht wagen kann. La Mettrie hatte keine Erfahrung mit dem Gedächtnis. Inzwischen wacht das Gedächtnis über das Gewissen. Ob das lebensfeindlich ist, ist dem Gedächtnis egal.
Im Bistro aß er eine Salatplatte und ein PastramiSandwich und trank ziemlich viel Bier. Dann kaufte er sich noch eine Flasche
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